Laufend loslassen
zu. Der Weg fällt leicht ab, wir durchqueren Quintanilla-Riopico. Bald nach Überquerung der Autobahn und einer Strecke an ihr entlang kommen wir in die Ausläufer der Stadt. Zwei Amerikaner aus Washington D. C. holen uns ein und laufen ein Stückchen mit uns. Während ich mich mit ihnen über Literatur zum Jakobsweg unterhalte, verpassen wir den Abzweig zum Kartäuserkloster Miraflores. Wir sind schon ein Stück daran vorbei, bis wir den Río Arlanzón überqueren und zum Kloster über der grünen Parkanlage hinaufsteigen können. Die Klosterbesichtigung ist für Pilger kostenlos. Wir bewundern die spätgotischen Rippenbögen, das Grabmal der Eltern von Isabella der Katholischen, der ersten Königin Spaniens nach der Vereinigung von Kastilien-Leon und Aragon, sowie den figurenreichen Hochaltar. Von außen wirkt der Bau relativ bescheiden, innen ist große handwerkliche Kunst zu bewundern.
Dann, schön im Schatten des Parks entlang des Río Arlanzón, geht es hinein in die Stadt. Heute wollen wir nicht in die Pilgerherberge, sondern in ein Hostal, um abends bummeln zu können und um lange auszuschlafen. Wir finden eines nahe der Altstadt, in der Nähe der Iglesia de San Lesmes, und nehmen ein Dreierzimmer. Dennis wählt sein Bett zuerst und so kommt es, dass Verena das Bett neben mir hat. Ganz leise spüre ich in mir, dass mir das angenehm ist.
Nachdem wir alle drei Waschtag gemacht haben, das Zimmer so voller Wäsche hängt wie ein italienischer Hinterhof und wir uns selbst auch stadtfein gemacht haben, führt unser erster Gang danach zur Kathedrale, deren reichhaltiges Inneres wir über zwei Stunden lang erkunden.
Immer wieder kommen uns bei der Deutung von Statuen, Bildern und Reliefs Dennis’ Theologie- und Bibelkenntnisse zugute. Mich beeindruckt vor allem die Mandalaform der Kirchenkuppel sowie das Chorgestühl, das eine Bilderfolge der Genesis und weiterer Bilder des Alten Testaments darstellt. Darunter sind Szenen des Neuen Testaments angeordnet, die wir nach und nach zu entschlüsseln versuchen, soweit wir nahe genug herankönnen, um sie genauer zu betrachten.
Danach setzen wir den Bummel durch die Stadt fort und treffen immer wieder Pilger, die wir kennen.
Zwei Pilgerinnen, Mutter und Tochter, die gerade von Bilbao gekommen sind und ihren Camino in Burgos beginnen wollen, begegnen wir im Zentrum. Dennis, der ihren suchenden Blick wahrnimmt, zeigt ihnen den Weg zur Herberge. Später werden wir die beiden besser kennenlernen: Es sind Michaela und Patricia aus Erfurt.
Endlich finden wir auch ein kleines Lokal, um unseren Hunger zu besänftigen. Was wir bekommen sind Vorspeisen-Tellerchen zu Hauptspeisen-Preisen, sodass wir beinahe noch hungrig aufstehen. Während die Nacht allmählich über Burgos hereinbricht, lade ich meine Weggefährten noch zu einem Glas Wein in eine der zahlreichen Bars ein.
Gegen 23 Uhr werden wir müde, kein Wunder, wir sind ja schon seit 18 Stunden wach. Selig schlummern wir und lange, bis acht Uhr.
Montag, 30. Juli
Nach dem Frühstück führt der erste Weg zum Hauptpostamt auf der anderen Seite des Río Arlanzón. Ermutigt von meinen Pilgerfreunden habe ich mich von weiteren Ausrüstungsstücken, darunter auch vom Zelt, getrennt. Bei der Post stellt sich heraus, dass alles zusammen drei Kilo ausmacht, ohne das geknickte Zeltgestänge, das im Müll landet. Wieder gebe ich ein Stück Sicherheitsbedürfnis und ängstliche Sorge, was alles notwendig sein könnte, auf. „Es gibt eigentlich nur ganz wenig Materielles, was man wirklich braucht, das ist meine Erfahrung bisher auf dem Weg.“, unterstützt mich Verena. „Doch das wenige braucht man dann tatsächlich.“ Ich fühle mich erleichtert, weil endlich die Entscheidung gefallen ist und werde die Erleichterung auch auf meinem Rücken und an den Beinen spüren.
Wir steigen noch zum Castillo hinauf, von wo aus ein uifassender Blick auf die Stadt Burgos, besonders die Altstadt, möglich isst. Die durchqueren wir anschließend auf dem Weg zum Hostal und stoßen immer wieder auf das Zeichen der Muschel. Kurz vor zwölf brechen wir auf, um nach Tardajos zu laufen, zehn Kilometer von der Stadt entfernt. Durch einen Park geht es an einer Pilgerherberge vorbei und am eindrucksvollen Gebäude der juristischen Fakultät der Universität von Burgos, wohl eine alte Klosteranlage. Durch die Nachmittagshitze führt der Weg auf weißen, die Augen blendenden Schotterstraßen bis Tardajos, das wir um 15 Uhr erreichen. Wir
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