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Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Mall
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gehören zu den ersten Pilgern, die eintreffen. Später wird die Herberge so voll, dass einige auf Liegeunterlagen auf der Wiese vor der Albergue schlafen.
    Wir machen es uns gemütlich, gehen Pizza essen und planen unsere Strecken, denn wir haben beschlossen, für die nächsten drei Tage getrennt zu laufen, um wieder - oder neu - die Erfahrung des Ganz-auf-sich-allein-gestellt-Seins zu machen. Mir ist diese Erfahrung vom meinem langen Weg durch Frankreich schon vertraut und ich brauchte sie nicht wieder, nachdem ich jetzt die Gemeinschaft so genieße. Aber meine beiden Weggefährten sind bisher ja nur in der Gruppe gelaufen und wollen auch die Erfahrung des Alleinseins machen. Ich möchte ihnen dabei nicht im Wege stehen. In der Herberge begegnen wir auch Hans und Doris wieder, dem Ehepaar aus Südhessen. Mit ihnen habe ich auf der Etaptpe nach Logroño erstmals Bekanntschaft gemacht. In der Zwischenzeit haben Dennis und Verena mir erzählt, dass sie mit den beiden schon im Zug von Biarritz nach St. Jean Pied de Port in einem Abteil waren. Doris lleidet an Fußproblemen. Beide waren schon bis zum nächsten Ort gelaufen, mussten aber dort umkehren, weil alle Herbergen geschlossen waren.
     

Dienstag, 31. Juli
    Wieder wache ich mit den anderen um fünf Uhr auf. Ich starte als Letzter, noch ist es Nacht, bisweilen schwierig, die gelben Pfeile der Markierung zu finden. Beim gemeinsamen Gehen hat immer einer etwas gesehen. Jetzt sind wir getrennt und ich muss mich wieder selbst zurechtfinden. Mit ein paar Zweifeln finde ich den richtigen Weg. Die Morgenkühle tut gut, der Mond ist unmittelbar nach Vollmond und weist den Weg nach Westen. Es ist immer noch Nacht, als ich durch Rabé de las Calzadas laufe. Die stillen Straßen hallen wider vom Takt meines Bambus-Pilgerstabes und dem Klappern des Flaschenkürbisses an seinem Ende. An einem kleinen Platz plätschert der Brunnen, sonst ist Stille.
    Dann wird es dämmrig, nach und nach verblasst der Mond am heller werdenden Firmament und im Osten färbt sich der Himmel gelbrot. Gelb, ja golden sind auch die Felder, die sanft geschwungen bis zum Horizont reichen. Ein Reh kreuzt in einiger Entfernung meine Bahn. Später, als die Sonne aufgeht, werfen die Steinchen des Feldweges lange Schatten.
     
    Es ist eine Stimmung und Landschaft großer Weite und Freiheit, durch die der Camino hier führt. Ich spüre dieses Gefühl, andererseits hängt mir aber ein Traum der letzten Nacht nach, bei dem es wieder um meine Beziehung zu Edith ging, oder genauer darum, dass sie in ihrem Herzen nicht mehr meine Frau ist, sondern zu einem anderen Mann gehört. Mein Unterbewusstsein signalisiert mir also zum wiederholten Mal auf der Pilgerreise, sich damit zu arrangieren und zurechtzufinden. Das geht so in Schüben. Tagelang denke ich nicht bewusst an dieses Thema, bin von dem Geschehen auf dem Weg mit seinen täglichen Eindrücken und Erfordernissen ganz eingenommen. Aber innerlich arbeitet es in mir offenbar immer weiter, mein Hauptthema. Plötzlich, durch einen Traum, ist es wieder da, nimmt auch meine bewussten Gedanken ein. Es ist gut, dass ich heute alleine laufe und Zeit habe, den Traum nachwirken lassen zu können.
     
    In Hornillas del Camino will ich gerne einen Kaffee trinken, aber die Bar ist noch zu. In der Zwischenzeit sind mir auch die beiden adretten Österreicherinnen entgegengekommen, die wir schon mehrmals, zum ersten Mal in Estella, getroffen haben. Sie sind wieder auf dem Rückweg nach Burgos, denn ihre Pilgerreise ist für heuer zu Ende.
    Nach weiterem Laufen erreiche ich nach eineinviertel Stunden San Bol. Dieser Platz hat sich durch Erzählungen schon lange in meinem Bewusstsein eingeprägt. Als ich die kleine Herberge am Rand eines Pappelwäldchens sehe, beschließe ich dort Rast zu machen und treffe Verena, was mich sehr freut. Wir trinken Kaffee, vespern unser Mitgebrachtes, unterhalten uns ein bisschen mit dem Regieassistenten aus Lübeck, mit dem wir in der Bar von San Juan de Ortega an einem Tisch saßen und mit einer Freundin Verenas, die hier seit Längerem lebt.
    Dann brechen wir nacheinander auf, Verena zuerst. Die Hitze und vor allem die Intensität der Sonneneinstrahlung nimmt zu, während ich auf Hontanas zulaufe. Lange sehe ich nichts von dem Ort, bis ich schließlich fast am Dorfrand stehe, denn das Dörfchen liegt in einer Senke. Während ich in einer Bar beim Kaffee noch überlege, ob ich hierbleiben oder nach San Antón oder Castrojeriz weiterlaufen soll,

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