Laufend loslassen
dass es erst um halb neun Abendessen gibt, scheinen wir so entsetzt zu schauen, dass die Wirtin den bisher verborgenen Laden aufschließt und wir die Zutaten für einen Reiseintopf kaufen können, zu dem wir Hans und Doris einladen, die sich sehr darüber freuen.
Samstag, 4. August
Wieder brechen wir im letzten Dunkel der Nacht auf. Wir wollen heute Bercianos erreichen, haben wir gestern vereinbart. Bis Terradillos de los Templarios gehen wir gemeinsam, dann läuft jeder ein Stück alleine, ich diesmal voran. Unterwegs der Sonnenaufgang. Schon in dieser frühen Zeit ist es wärmer als üblich und die Temperatur steigt. Gegen elf Uhr erreichen wir Sahagún. Dort stellen wir die Rucksäcke in der Herberge der Stadt ab, erkunden das Zentrum und stoßen auf die Iglesia de San Lorenzo mit den ausdrucksstarken Figuren und Altären für die Prozessionen der Semana Santa. In Sahagún ist Markttag und es macht Spaß, durch das Gewirr der Stände zu schlendern. Nach eineinhalb Stunden sind wir müde, es wird heiß und heißer. Verena entscheidet für sich: „Ich gehe heute nicht weiter!.“ Ich bin durch diese klare Entscheidung irritiert. Mir ist wichtig, dass unsere Gemeinschaft auf jeden Fall zusammenbleibt, ich bin selbst auch ausgedörrt und verwerfe so schnell die Idee, trotz der drückenden Hitze noch eine Station weiterzugehen. Auch Dennis bleibt hier. Für ihn, so erklärt er später, war es bei dieser Entscheidung wichtig, Pläne und Vorhaben auch einmal sein lassen zu können, wenn er merkt, dass jetzt etwas anderes ansteht.
Wenig später finden wir Michaela und Patricia aus Erfurt, die schon vor uns eingetroffen sind. Wir wollen abends zusammen kochen. Auch Michaela und Sebastian, die ich in San Nicolás erstmals gesehen habe, sind dabei. Die Herberge ist im Inneren einer großen früheren Kirche, unten der Empfang und ein Konzertsaal, oben der Bettentrakt mit den jeweils abgetrennten Kastenabteilen pro acht Betten, recht geräumig und luftig. Ich erkunde noch ein Abendgebet bei den Benediktinerinnen, zu dem wir drei, Patricia und Michaela aufbrechen. Da ich allerdings nicht berücksichtigt habe, dass am Samstagabend schon der Sonntagszeitplan gilt, kommen wir um halb zehn vergeblich hin.
Beim Abendbummel durch die Stadt sehen wir kurz vor 22 Uhr ein Thermometer. Es zeigt 32 Grad Celsius an der Plaza Mayor de Sahagún. Wir beschließen, lange zu schlafen und am Sonntag nur eine kleine Etappe bis Bercianos del Real Camino zu machen, um die dortige besonders empfohlene Herberge anzusteuern.
Sonntag, 5. August
Wir brechen kurz nach sieben nach einem ausgiebigen Frühstück auf. Da wir nur 12 Kilometer laufen, kommt es uns fast wie ein Sonntagsspaziergang vor. Der Weg führt ohne Höhepunkte an der Straße entlang. Kurz vor Bercianos del Real Camino machen wir an einer kleinen Eremita kurze Essensrast. Als wir den Ort erreichen, ist die Herberge noch nicht geöffnet. Fast ein bisschen unmutig weist uns einer der Hospitaleros weiter. „Es ist noch früh am Tag, ihr könnt noch weiter.“, meint er. Doch wir wollen hierbleiben und dem Rat des gelben Führers, den Dennis und Verena haben, folgen. Uns ist es wichtig geworden, bei mehreren Möglichkeiten diejenigen Herbergen zu wählen, die nicht nur für das leibliche Wohl sorgen, sondern auch einen spirituellen Impuls an die Pilger geben.
Bisher haben wir damit immer gute Erfahrungen gemacht. Dabei lassen wir die meisten kommerziellen Herbergen aus, selbst wenn sie mit Liegewiese und Swimmingpool locken. Für diesen „Verlust.“ fühlen wir uns gut entschädigt.
So verbringen wir die Zeit bis ein Uhr in der Bar und in einem Wortgottesdienst mit Kommunionausteilung. „Das ist schon ein bisschen seltsam.“, meint Dennis am Ende. In seine evangelische Glaubensvorstellung passt es nicht, dass Christus im Brot auch präsent ist ohne die in diesem Gottesdienst unmittelbar gesprochenen Wandlungs-, oder wie er sagen würde, Einsetzungsworte. Ich selbst kann dieser Gottesdienstform auch nicht viel abgewinnen, auch wenn ich natürlich die katholische Auffassung davon gut kenne. Denn für mich ist es klarer, wenn es entweder eine Eucharistiefeier gibt oder einen reinen Wortgottesdienst als diese Mischform, die mir als ein Resultat des Priestermangels in der katholischen Kirche vorkommt.
Kurz nach eins tauchen wir dann in der Herberge, die in einem 240 Jahre alten Backsteinhaus in Lehmbauweise untergebracht ist, auf und werden jetzt sehr freundlich empfangen.
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