Laufend loslassen
Platz im Pilgerpass am Schluss eng werden könnte. Die Schlafräume sind groß und wie alle vorher nicht getrennt nach Frauen und Männern, wie es der Führer beschreibt. Das freut uns, denn so können wir zusammenbleiben.
Sobald wir unsere Betten belegt haben, gehen wir zur Kathedrale. Begeistert betrachten wir die Glasfenster, die größten bis zu zwölf Meter hoch. Die ganzen Wände sind aufgelöst in farbiges Licht. Ich habe bisher nur wenige Kathedralen erlebt, in denen der Geist und die Baukunst der Gotik so lebendig sind wie hier.
Mit Reims, Straßburg und Chartres kann dieser wunderbare Dom gut mithalten. Nach und nach erkunden wir die Fenster, bestaunen die 16-geteilte Rosette im Querschiff und lassen die Geschlossenheit und Stimmigkeit des Gesamtbaus auf uns wirken.
Anschließend suchen wir die Real Basilica de San Isidoro, ein Meisterwerk der Romanik. Da gerade Gottesdienst ist, setzen wir uns und bleiben bei der heiligen Messe dabei.
Die königliche Grabkammer bei der Real Basilica de San Isidoro mit ihren romanischen Fresken, die auch Sixtinische Kapelle der Romanik genannt wird, heben wir uns für den Nachmittag auf.
Dazwischen fordert der normale Pilgeralltag wieder seinen Tribut. Wir nutzen die Gelegenheit, zusammen einen großen Waschgang mit der Maschine zu machen. Ich bin froh, fast die ganze Kleidung einschließlich des Schlafsacks waschen zu können, schon um eventuell unliebsames Kleingetier, das ich mir in Bercianos eingesammelt haben könnte, loszuwerden.
Der anschließende Besuch in San Isidoro, diesmal eben der Grablege und der Schatzkammer, begeistert uns alle drei aufs Neue. Der Reichtum an romanischen Fresken im besten Erhaltungszustand, die wenigen, aber hochwertigen Ausstellungsstücke der Schatzkammer und vor allem die wertvollen Bücher der Bibliothek, darunter eine Bibel aus dem 10. Jahrhundert, wären alleine schon eine Reise nach León wert.
Daraufhin schlendern wir noch ein wenig durch die Altstadt und kaufen für morgen so ein, dass wir die Sachen gut teilen können. Denn morgen wollen wir noch gemeinsam aus León hinauspilgern, uns dann aber für vier oder fünf Tage trennen, um uns in Ponferrada oder Cacabelos wieder zu treffen. Vor allem Dennis reizt die Herausforderung der über 37 Kilometer langen Etappe bis Hospital de Órbigo im Alleingang, mir ist es lieber, den Weg nach Astorga in zwei etwa gleich langen Teilstücken zu gehen. Am Abend essen wir in einem Restaurant nahe der Herberge. Für ein paar Tage feiern wir Abschied. Bianca, die sich mit ihrem Freund hier in León treffen und ihre Pilgerreise beginnen will, stößt zu uns.
Sie kommt aus Berlin.
Um halb zehn abends gehen wir drei zur Herberge und beten mit vielen Pilgern und den Benediktinerinnen die Complet in der Hauskapelle des Klosters. Anschließend fallen wir müde und zufrieden, voll von den Eindrücken des Tages, ins Bett.
Mittwoch, 8. August
Es wird eine unruhige Nacht. Ab drei Uhr mache ich kein Auge mehr zu. Die Betten mit ihren Stahlspanngittern quietschen bei jeder Bewegung. Um vier Uhr stehen die Ersten auf, auch mein Bettnachbar packt zusammen. Die Unruhe steigt von Minute zu Minute. Dabei hieß es, dass um sechs Uhr gemeinsames Wecken sei. Wahrscheinlich hätte ich noch schlechter geschlafen, wenn wir beim Abendessen mit dem Wein sparsamer gewesen wären. Verena ist richtig sauer, auch auf die vielen Schnarcher. Die Unterkunft erhält von uns den 1. Preis für die bisher unruhigste Herberge.
Um wenigstens den Tag nach dieser verunglückten Nacht gut zu beginnen, frühstücken wir ordentlich - was vom Haus angeboten wird, gutes Brot, gute Marmelade, Butter und natürlich Kaffee so viel man will.
Um 6.45 Uhr sind wir aus dem Haus, finden den Weg aus der Stadt leichter als befurchtet und laufen bis an den Stadtrand von León und auch noch durch Virgen del Camino. Nach etwa zwei Stunden ist dann Zeit für den Abschied. Wir sprechen zusammen und füreinander den Pilgersegen, den wir in Los Arcos erstmals bekommen haben. Dennis beginnt:
„Oh Gott, der du deinen Diener Ahraham aus der Stadt Ur in Chaldäa errettet hast, ihn beschützt hast auf all seinen Pilgerfahrten und der du der Führer des hebräischen Volkes durch die Wüste warst, wir bitten dich, dass du uns, deine Diener, behütest, die um deines Namens willen nach Santiago de Compostela pilgern.“
Verena setzt fort:
„Sei für uns
Weggefährte auf der Pilgerfahrt,
Wegweiser an Kreuzungen,
Kraftquelle bei
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