Laugenweckle zum Frühstück
ausgehalten, da der Rauch Tag und Nacht durch die schlecht isolierten Wände zog.
»Ha, die Jugend hot sich scho kenna glernt! Des isch abr amol nett!« Frau Müller-Thurgau war so um die sechzig, trug niemals etwas anderes als einen rosa Jogginganzug und ihr Körper bestand aus zwei Teilen: einer normalen unteren Hälfte mit zwei relativ schlanken Beinen und einem oberen Teil, der aussah wie ein Baumkuchen. Einer der aufeinandergestapelten Ringe musste der Busen sein, gab sich aber nicht als solcher zu erkennen.
Wenn sich Frau Müller-Thurgau und Herr Tellerle auf dem Flur oder im Hinterhof trafen, konnte so ein Gespräch schon mal eine gute Stunde gehen. Meistens besprachen sie die Details einer ordentlich durchgeführten Kehrwoche, und dass offensichtlich niemand außer ihnen im Haus diese Details kannte, geschweige denn in der Praxis zur Anwendung brachte. Einmal hatte ich meiner Freundin Susi aus Bonn erzählt, dass Frau M.-T. und Herr Tellerle die Klingelknöpfe putzten, wenn sie mit der großen Kehrwoche dran waren. »Die Klingelknöpfe putz ... die Klingelknöpfe pfff ...«, keuchte Susi, der Rest war nur noch ein hysterisches Gewimmer.
Niemals hatte ich erlebt, dass Herr Tellerle Frau Müller-Thurgau zu sich hereinbat oder umgekehrt. Komisch eigentlich, dass er sie nicht wegen der Fischfütterung gefragt hatte. »Hallo Frau Müller-Thurgau«, sagte ich und flitzte weiter. Jetzt würde sie mich wieder unhöflich finden, aber ich hatte sowieso keinen Ruf mehr, den ich verlieren konnte, seit mich Herr Tellerle dabei ertappt hatte, wie ich den Dreck vom Kandel 6 in den nächsten Gully gekehrt hatte.
Vor Herrn Tellerles Wohnungstür zischte ich: »Geh bitte weiter, die Alte steht oben und lauscht!«
Leon antwortete laut: »Aber natürlich helfe ich dir gern, die Fische von Herrn Tellerle zu füttern, schließlich hatte ich jahrelang ein Aquarium!«
Ich verdrehte die Augen, schloss die Tür auf und zog Leon am Ärmel herein. »Leon, du hast ja keine Ahnung, was das hier für ein Tratschhaufen ist!«
Leon zuckte die Schultern. »Aber sie tratschen doch, egal was du tust. Also geben wir ihnen wenigstens was zu tratschen.« Er sah sich mit großen Augen in Herrn Tellerles spärlich möblierter Wohnung um.
»Junge, Junge. Was für ein beeindruckender Minimalismus. Den Fischen scheint es übrigens gut zu gehen.«
Tatsächlich, Max, Moritz und alle ihre Kumpels drehten entspannt ihre Runden und schienen sich keine Gedanken darüber zu machen, dass das Leben ein Haifischbecken war. Ich nahm die Futterdose und kippte den Inhalt komplett ins Wasser. Leon sah mich zweifelnd an. »Ist das nicht zu viel Futter?«
»Hast du wirklich ein Aquarium gehabt?«
Leon schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich hätte gedacht, eine Prise Futter reicht aus.«
»Die Jungs haben seit gestern Morgen Diät gehalten. Ich will doch nicht, dass sie vom Fleisch gefallen sind, wenn Herr Tellerle zurückkommt.«
Ich setzte mich auf das abgewetzte Sofa und sah zu, wie die Fische hektisch nach dem Futter schnappten. Leon setzte sich neben mich. Herr Tellerle hatte Recht. Es hatte etwas Beruhigendes, den Fischen zuzusehen. Allerdings fand ich es gar nicht beruhigend, Leon so dicht neben mir sitzen zu haben. Ich stand hastig wieder auf. »Ich sollte hochgehen und mich um meine Bewerbungen kümmern«, murmelte ich. »Außerdem muss ich Lila anrufen.«
Ich schloss Herrn Tellerles Wohnungstür ab und sagte laut: »Danke, dass du mir beim Fischfüttern geholfen hast, Leon. Es ist ja wirklich gar nicht so einfach.« Einen Stock höher klappte die Wohnungstür zu.
»Also dann, einen schönen Abend noch«, sagte Leon, als wir im fünften Stock angekommen waren. »Dir auch«, sagte ich und drehte mich weg. Abstand, ich brauchte dringend Abstand von dem Kerl.
»Ich wollte dir noch sagen ...« Er zögerte.
»Ja, was denn?« Meine Wohnungstür war schon halb offen. Endlich! Er würde mir verraten, was gestern Abend passiert war!
»Ach nichts. Wir sehen uns.« Er verschwand. Ich ging in meine Wohnung und raufte mir die Haare. Jetzt würde ich den ganzen Abend darüber nachgrübeln, was es wohl war, was er mir nicht hatte sagen wollen.
Ich ging in die Küche und holte eine
Wagner-Pizza
aus dem 3-Sterne-Fach. Nach dem vielen Kuchen brauchte ich dringend etwas Salziges. Bis die Pizza fertig war, würde ich mich mental polen, dann essen und anschließend Lila anrufen. Ein guter Plan. Ein hervorragender Plan einer rational denkenden,
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