Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
war zu erschöpft, um die spitze Bemerkung zu kommentieren. Vorsichtig schlürfte er den Trank, den Alienor ihm zubereitet hatte. Er schmeckte nicht nur bitter, sondern war auch siedend heiß, und so musste er aufpassen, dass er sich nicht verbrannte.
Alienor beobachtete den Bruder nachdenklich. »Glaubst du immer noch, dass das Mädchen auf dem Menschenstern, diese Laura, den Kelch rechtzeitig finden wird?«
»Ich kann es nur hoffen! Das ist unsere einzige Rettung. Obwohl -«
Alarik brach ab und starrte düster vor sich hin.
Alienor blickte ihn überrascht an. »Was hast du so plötzlich? Sag schon!«
Der Junge hob den Kopf, und großer Ernst zeichnete seinen Blick. »Ich habe die ganze Zeit gehofft und auf das Licht vertraut, aber seit ich die Fratze dieser Harpyie gesehen habe, bin ich mir nicht mehr sicher, ob der Kelch uns noch retten kann.«
»Was?« Alienor sprang vom Bett auf und starrte den Bruder ungläubig an. »Aber das kann doch nicht sein! Das Wasser des Lebens wird Elysion heilen, das weißt du doch!«
»Natürlich, Alienor, natürlich weiß ich das. Aber die Mächte des Finsternis sind uns immer einen Schritt voraus. Die Harpyie hat unmöglich wissen können, was ich vorhabe - und trotzdem hat sie mich aufgespürt! Du hättest ihre Augen sehen sollen! Sie waren so böse und gleichzeitig so siegesbewusst. Wenn es sich tatsächlich um Syrin gehandelt hat, wie Paravain annimmt, dann schien sie sich vollkommen sicher zu sein, dass nichts und niemand den Sieg der Finsternis noch verhindern kann.«
»Wie erklärst du dir das?«
Alarik zuckte hilflos mit den Schultern. »Keine Ahnung, Alienor. Möglicherweise verfügen Borboron und seine Verbündeten über einen letzten Trumpf, von dem keiner von uns etwas ahnt.«
A ls Laura zum Mädchenflügel zurückging, merkte sie plötzlich, wie müde sie war. Kein Wunder - es musste bereits auf den Morgen zugehen, und die aufregenden Ereignisse der vergangenen Stunden hatten an ihren Kräften gezehrt.
Sie gähnte wie ein schläfriger Löwe, während sie die Eingangshalle durchquerte, und lag in Gedanken schon längst im Bett.
Schlafen, nur noch schlafen - eine innere Stimme lullte Laura ein. Nur beiläufig bekam sie mit, dass die Drei-Uhr- Schläge der Turmuhr durch die Nacht hallten.
Als Laura einen Fuß auf die erste Treppenstufe setzte, schimmerte das große Ölbild undeutlich am Rande ihres Blickfeldes. Sie war schon auf der fünften Stufe, als ihr endlich bewusst wurde, dass auf dem Gemälde wieder einmal etwas nicht stimmte. Sie blieb stehen, drehte sich um und starrte verwundert auf das Bild.
Weder Silva noch der Wolf fehlten, beide befanden sich an den vertrauten Plätzen. Aber die Frau in Weiß hatte ihre Blickrichtung geändert. Sie schaute nicht wie sonst in eine unbestimmte Ferne, sondern richtete die Augen auf den Boden der Halle.
Als Laura Silvas Blick folgte, fiel ihr endlich auf, was sie eigentlich schon längst hätte bemerken müssen, aber in ihrer grenzenlosen Müdigkeit übersehen hatte: Der Boden am Fuße der Treppe war wie blank gefegt. Von den Bruchstücken des zerschmetterten Ritters fehlte jede Spur. Nichts, nicht einmal das winzigste Krümelchen, war mehr zu entdecken. Die steinernen Trümmer von Reimar von Ravenstein waren restlos verschwunden und wie vom Erdboden verschluckt.
Oh, nein! Erschrocken fuhr Laura zusammen. Wie ist das nur möglich? Ob jemand die Steinbrocken in der Zwischenzeit beseitigt hatte? Das war wenig wahrscheinlich, und deshalb gab es nur eine plausible Erklärung: Reimar von Ravenstein musste auf wundersame Weise wieder die ursprüngliche Gestalt angenommen haben und aus eigener Kraft von der Stätte seines vermeindlichen Endes verschwunden sein!
Sofort musste Laura an Kaja denken - wenn der Grausame Ritter tatsächlich wieder zum Leben erwacht war, dann hatte ihn sein allererster Weg mit Sicherheit zu ihrem Zimmer geführt - und dann schwebte Kaja in allergrößter Gefahr.
In Lebensgefahr.
Laura rannte los, so schnell sie konnte. Atemlos flog sie die Treppe empor, zwei, drei Stufen auf einmal nehmend. Als sie in den Gang einbog, der zu ihrem Zimmer führte, konnte sie schon von weitem sehen, dass Licht unter der Tür hindurchschimmerte.
Ein schlechtes Zeichen! Kaja war doch so müde, dass sie sich mit Sicherheit sofort schlafen gelegt und das Licht gelöscht hätte.
Aber vielleicht wartete sie ja auch nur auf sie und wollte wissen, ob und wie sie den Kelch der Erleuchtung in Sicherheit gebracht
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