Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
verschwunden. Aber die war weg. Spurlos.
»Papa war in meinem Zimmer«, bekräftigte sie, »das weiß ich ganz genau.«
Sayelle stellte die Kaffeetasse ab und schaute sie mitleidig an. »Ach, Kind!«, sagte sie mit einer übertrieben verständnisvollen Stimme, als würde sie mit einer Dreijährigen sprechen.
Laura hasste diesen Ton. Sie fühlte sich dann immer klein und dumm und nicht ernst genommen. Sie warf ihrer Stiefmutter einen wütenden Blick zu. Doch Sayelle schien das nicht zu bemerken.
»Du weißt doch ganz genau, dass das nicht möglich ist«, fuhr Sayelle im gleichen Ton fort. »Und das bedeutet zwangsläufig, dass du das geträumt haben musst. Wahrscheinlich hat dir dein Unterbewusstsein einen Streich gespielt: Weil du dir so sehr gewünscht hast, dass dein Vater zurückkommt, hat es dir vorgegaukelt, du hättest ihn wirklich gesehen.«
»So 'n Quatsch!« Laura wurde heftig. »Ich weiß doch, was ich gesehen habe und was nicht!«
Sayelle ließ sich davon nicht beeindrucken. »Psychologisch gesehen ist das ziemlich einfach zu erklären. Zum einen ist es, verständlicherweise, muss ich sagen, dein größter Wunsch, dass dein Vater wieder zurückkommt. Zweitens verfügst du genau wie dein Bruder über eine geradezu überbordende Fantasie, woran Marius mit seinen ewigen Geschichten, Märchen und Legenden, die ihr vom zarten Kindesalter an ertragen musstet, nicht gerade unschuldig ist!«
Laura schaute ihre Stiefmutter finster an. »Hätte er uns vielleicht die Wirtschaftsnachrichten vorlesen sollen, oder was?«
»Das wäre mit Sicherheit vernünftiger gewesen«, antwortete Sayelle mit voller Überzeugung. »Man kann nicht früh genug damit beginnen, Kinder mit den harten Realitäten des Lebens vertraut zu machen - und Märchen und Geschichten sind dazu ganz gewiss nicht geeignet.«
Laura verzog genervt das Gesicht und schaute Lukas an. Auf seiner Stirn war wieder die Falte zu sehen. Doch keiner von ihnen sagte ein Wort. Sie wussten, dass das sinnlos gewesen wäre.
»Und drittens«, setzte Sayelle ihren Vortrag fort, und ihre Stimme nahm einen gekränkten Ton an, »drittens hast du dich auch nach fast einem Jahr wohl noch immer nicht damit abfinden können, dass der liebe Marius sich wahrscheinlich einfach aus dem Staub gemacht und uns alle im Stich gelassen hat!«
Laura sprang auf. Ihre Tasse schepperte, und Kakao schwappte auf den Tisch.
»Papa hat uns nicht im Stich gelassen!«, schrie sie wütend. »Das weißt du ganz genau. Und es war auch kein Traum, ich hab ihn ganz deutlich neben meinem Bett stehen sehen!«
Sayelle verdrehte die Augen. »Beruhige dich, Laura! Und setz dich bitte wieder hin.«
Laura gehorchte. Sie atmete heftig und schaute ihren Bruder Hilfe suchend an. Doch Lukas wich ihrem Blick aus - er glaubte ihr nicht, das konnte Laura ihm ganz genau ansehen.
»Papa lebt«, sagte sie leise. »Er kann nur irgendwie nicht zu uns zurück. Das könnt ihr mir glauben.«
»Das sind doch nur Wunschvorstellungen«, entgegnete Sayelle ungehalten. »Nichts als Hirngespinste! Marius hat sich einfach davongemacht, das ist die einzig denkbare Erklärung.«
»Hat er nicht«, sagte Laura. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. »Und ich werde es beweisen, verlass dich drauf.«
»Ach, tatsächlich?«, antwortete ihre Stiefmutter spitz. »Da kann die Polizei nicht eine einzige Spur von ihm entdecken, und auch der Privatdetektiv, den ich engagiert habe, findet nicht das Geringste heraus. Nicht einen einzigen Hinweis. Nicht den Hauch einer Erklärung. Nichts! Und da willst ausgerechnet du dieses Rätsel lösen? Hast du dir da nicht ein bisschen viel vorgenommen, Laura?«
Laura verengte die Augen zu ganz schmalen Schlitzen, aus denen ein wütendes Funkeln glomm.
»Wenn du Papa genauso lieb hättest wie ich, dann würdest du mir glauben«, zischte sie zornig.
Sayelle schlug mit der flachen Hand so heftig auf den Tisch, dass die Tassen und Teller klirrten. »Jetzt ist es aber genug, Laura!«, fuhr sie ihre Stieftochter mit sich überschlagender Stimme an. »Wie kannst du nur so etwas sagen!«
Ein feuchter Glanz trat in ihre Augen, und fast hatte es den Anschein, als würde sie zu weinen beginnen. Sie griff in ihre Tasche, holte ein Papiertaschentuch hervor und schnäuzte sich geräuschvoll die Nase.
Niemand sagte ein Wort.
Eine dicke Fliege brummte an der Wand, und das Gedudel des Radios im Hintergrund war plötzlich unerträglich laut. Sayelle biss mechanisch in ihr Knäckebrot, und auch Lukas kaute
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