Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
Absolut nichts!
Was immer sie, Laura, tun und wofür sie sich auch entscheiden würde – es wäre in jedem Fall falsch! Blieb sie eine unbeugsame Kriegerin des Lichts und brachte den Kelch der Erleuchtung in die Gralsburg zurück, dann würde ihr Vater sterben. Erfüllte sie die Forderung des Schwarzen Fürsten jedoch und überließ den Kelch den finsteren Mächten, würde Marius zwar leben – vorausgesetzt, Borboron hielt sein Versprechen. Gleichzeitig aber verdammte sie damit die Erde und Aventerra zum Untergang. Es gab wohl nur einen Ausweg aus dieser vertrackten Situation: Sie musste ihren Vater aus der Todesstarre erwecken und aus der Dunklen Festung befreien, bevor sie den Kelch der Erleuchtung nach Aventerra zurückbrachte.
Nur – wie sollte das möglich sein?
Laura blickte sich um. Der Flur war leer. Niemand war zu sehen. Ob wohl jemand bemerken würde, wenn sie zum Gemach des Fhurhurs zurückschlich, anstatt die Traumreise umgehend abzubrechen? Wurde man sie nicht noch einmal für eine völlig harmlose Sklavin halten und sie deshalb ungehindert passieren lassen? Oder beobachtete die Gestaltwandlerin sie auch weiterhin in ihrem Sehenden Kristall? Eigentlich wenig wahrscheinlich. Und für den Fall, dass sie es dennoch tat, wusste Laura den Schwarzen Fürsten auf ihrer Seite. Der würde schon nicht zulassen, dass ihr Schlimmes widerfuhr, bevor er den Kelch der Erleuchtung in den Händen hielt. Sie musste es einfach wagen!
Laura gelangte ohne Probleme in die Kammer des Fhurhurs. Sie verriegelte die Tür hinter sich und schüttelte ungläubig den Kopf: Nicht zu fassen, wie einfach das war!
Das seltsame Sternbild stand immer noch am Himmel. Es war ein kleines Stück weitergewandert am Firmament. Strahlend hell blinkte es ihr durch das Fenster entgegen, als wolle es sie dazu einladen, es näher in Augenschein zu nehmen. Aber dazu hatte sie keine Zeit. Sie hatte Wichtigeres zu tun, als Sterne zu gucken – und seien sie noch so eindrucksvoll!
Rasch öffnete Laura den Schrank mit den Zaubertränken. Schon nach kurzer Zeit hatte sie die Phiole mit der giftgrünen Flüssigkeit entdeckt. Sie stand auf dem obersten Brett. Das Fläschchen rechts daneben enthielt eine milchig trübe Substanz. Die krakelige Aufschrift auf dem vergilbten Etikett konnte Laura nicht lesen – sie war in einer fremden Sprache gehalten. Aber es musste sich um das gesuchte Gegenmittel handeln, denn es stand dicht neben dem Todesstarre-Trank. Die beiden Elixiere gehörten zusammen, das war ganz deutlich zu sehen.
Laura stellte sich auf die Zehenspitzen, reckte sich und streckte die Hand nach dem Fläschchen aus – als alles um sie herum verblasste und sich in Nichts auflöste. Der Schrank, das Gemach des Fhurhurs, die Mauern der Dunklen Festung, alles wurde in einen Wirbel aus gleißender Helligkeit hineingesogen.
Verdammt! Ausgerechnet jetzt! Das durfte nicht wahr sein!
A ls Laura wieder zu sich kam, meinte sie, sterben zu müssen. Alles in ihr drehte sich, und aus der Tiefe des wirbelnden Lichtermeeres, das ihren Kopf fast bis zum Bersten füllte, stieg eine Botschaft an die Oberfläche ihres Bewusstseins. Das ist das Ende!, verkündete sie mit dumpfem Hall, bevor sie von dem Hurrikan in ihrem Kopf wieder verschluckt wurde. Dann erschien es Laura, als lege sich eine enge Decke um sie, die mit tonnenschwerem Blei gefüllt war. Alle Glieder, alle Muskeln, alle Fasern ihres Körpers ächzten unter dem unerträglichen Gewicht. Wie ein riesiger Krake schnürte es sie fester und fester ein, als wolle es alles Leben aus ihr herauspressen.
Laura konnte kaum noch atmen. Mühsam rang sie nach Luft, während das Licht in ihrem Kopf verblasste und einem trüben Nebel Platz machte.
Durch die dichte graue Wand drangen Laute. »Laura?« Die Stimme des Sportlehrers glich eher einem Blubbern – als sei er ein Wal, der irgendwo weit weg in einem endlosen Meer träge dahindümpelte. »Was ist denn los, Laura?«
Das Mädchen brachte die Lippen nicht auseinander. Ein unlösbarer Klebstoff schien sie zusammenzuhalten, sodass sie nur ein Stöhnen und Seufzen hören ließ. Auch die Augen konnte Laura nicht öffnen. Wie zentnerschwere Deckel lasteten die Lider darauf und bewegten sich nicht einen Millimeter.
Percys Stimme verhallte wie ein fernes Echo, das vom Wind an ihr Ohr getragen wurde, bis Laura einen verzweifelten Ausrufvernahm: »Laura! Wach endliisch auf, mon D ieu!«
Percy Valiant mühte sich vergeblich. Immer weiter entglitt Laura,
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