Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
vergangene Nacht ins Gedächtnis zurückzurufen versuchte – sein Kopf blieb leer wie ein Fass ohne Boden. »Tut mir Leid, Herr«, sagte er schließlich, »aber ich erinnere mich nicht.«
Der Schwarze Fürst verengte die Augen. »Wirklich nicht?«
Marius schüttelte nur wortlos den Kopf.
»Schade.« Borboron seufzte theatralisch. »Dann kann ich wohl nicht umhin, Gurgulius zu rufen.« Er fasste in seine Tasche und holte die kleine Pfeife heraus.
Marius erschrak. Dufte es denn sein, dass jemand sterben musste, nur weil er sich nicht richtig erinnern konnte? Wie sollte er weiterleben mit dem Gedanken, sich am Tod eines anderen mitschuldig gemacht zu haben? »Einen Moment noch, Herr!«, flehte er den Schwarzen Fürsten an. »Vielleicht fällt es mir ja noch ein?«
»Wirklich?« Borborons Augen glühten auf. »Du hast nicht länger als drei Herzschläge!«
Marius atmete tief ein. Konzentriere dich, befahl er sich im Stillen.
»Noch zwei«, sagte Borboron.
Reiß dich zusammen – bitte! Es geht um ein Leben!
»Noch einen!«
Da endlich erinnerte sich Marius an die Botschaft, die er im Traum empfangen hatte.
Sie war so entsetzlich, dass ihm schwarz vor Augen wurde.
L ukas sah Kaja mit gespitzten Lippen an. »Du meinst also, Bertrun hätte den Hinweis präziser formulieren sollen?«
»Ja, klar!«, antwortete das Mädchen im Brustton der Überzeugung.
»Verstehe.« Der Sarkasmus in Lukas’ Stimme war nicht zu überhören. »Damit jeder Idiopf ihn auch auf Anhieb kapiert, nicht wahr?«
»Idiopf?« Kajas perplexes Gesicht verlieh ihr eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem orientierungslosen Lama. »Was soll das denn wieder heißen?«
Laura musste grinsen. »Ist doch nicht so schwer: Ein Idiot, gepaart mit einem Schwachkopf, ergibt einfach einen Idiopf!«
»Genau!«, knurrte Lukas. »Aber zurück zu diesem Vers: Hast du schon eine Idee, was der dir sagen soll, Laura? Denn dass du damit gemeint bist, beziehungsweise alle im Zeichen der Dreizehn geborenen Wächter vor dir, dürfte wohl klar sein.«
»Das sehe ich genauso.« Das Mädchen kniff die Augen zusammen. »Mehr ist mir aber auf Anhieb auch nicht eingefallen. Und ganz so Unrecht hat Kaja ja nicht: So richtig deutlich ist dieser Vers wirklich nicht.«
»Na, dann müssen wir wohl kapitulieren, oder?«
»Quatsch!« Laura schoss Lukas wütende Blicke zu. »Das hab ich damit doch gar nicht behauptet. Du weißt doch: ›Nur wer aufgibt, hat schon verloren!‹ Hat Papa immer gesagt. Stimmt ja auch.«
»Da bin ich aber erleichtert.«
Während der Junge vor sich hinschmunzelte, ärgerte Laura sich im Stillen, dass sie einmal mehr auf seine Provokation hereingefallen war. Dabei hätte sie doch wissen müssen, dass Lukas kaum etwas mehr liebte, als sie aufzuziehen und auf die Palme zu bringen. Aber immer wieder ging sie ihm auf den Leim! Das Mädchen zwang sich zur Ruhe und atmete tief durch. »Versuchen wir es doch mal mit System – wie bei einer Gedichtinterpretation im Deutschunterricht.«
»Oh, nö!« Kaja stöhnte laut auf. »Wenn es etwas gibt, was ich abgrundtief hasse, dann ist das die Interpretation von Gedichten.«
»Du kannst ja schon essen gehen, wenn du keine Lust dazu hast«, schlug Lukas ihr vor. Aber das wollte Kaja natürlich auch nicht. Ihre Neugier war eben manchmal noch um einiges größer als ihre Verfressenheit.
»Überspringen wir einfach die ersten beiden Zeilen!« Lukas deutete auf die dritte. »Schließlich dürfte klar sein, was mit dem ›Verborg’nen‹ gemeint ist: die drei Zahlen, die Bertrun unter den Findlingen versteckt hatte.«
»Bestimmt!« Laura nickte eifrig. »Aber auch die zweite erscheint mir nicht allzu schwierig: ›Erkenn, was manche Stunde schlägt. ‹ Die Zeichnung ähnelt doch nicht nur einem Planetensystem, sondern erinnert noch viel stärker an das Zifferblatt einer Uhr!«
»Jetzt, wo du es sagst!« Lukas hob anerkennend die Brauen.
»Und wenn die Kreise für die jeweilige Uhrzeit stehen«, fuhr Laura fort, »könnte die Zahl der Glockenschläge gemeint sein, die zur entsprechenden Stunde erklingen.«
»Hey, gar nicht so schlecht«, lobte der Bruder. »Du bist auf der richtigen Spur, auch wenn es offensichtlich noch nicht ganz richtig ist. Sonst hätte Bertrun doch ›hör‹ geschrieben und nicht ›erkenn‹. Was nicht daran liegen kann, dass das Versmaß sonst nicht gestimmt hätte.«
Kaja war anzusehen, dass sie nicht den blassesten Schimmer hatte, was Lukas meinte. »Versmaß?«, fragte
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