Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
»Warte hier auf mich, mein Alter«, sagte sie.
Der Hengst schmiegte sich an Laura und wieherte leise. Auch er schien zu ahnen, dass seiner Herrin eine schwere Prüfung bevorstand.
Laura griff unter das Wams, zog den Swuupie daraus hervor und setzte ihn auf Sturmwinds Rücken. »Und du bleibst auch hier, Schmatzfraß. Rühr dich nicht von der Stelle, bis ich wieder da bin.« Falls ich überhaupt zurückkomme, ging es ihr durch den Kopf, bevor sie den schrecklichen Gedanken wieder verscheuchte.
Dann drehte sie sich um, atmete tief durch – und ging los. Entschlossen näherte sie sich der Biegung. Da jedoch verlangsamte sich ihr Schritt. Ihre Beine wurden bleischwer, und ihre Füße schienen im Dschungelboden zu versinken.
Weiter, Laura, weiter!, trieb eine innere Stimme sie voran.
Ihre Knie zitterten, und trotz der Hitze überzog Gänsehaut ihren Körper, während sie um die Ecke bog. Der Dschungel wurde noch dichter, der Geruch unerträglich. Ausgebleichte Knochen und Schädel leuchteten plötzlich immer wieder auf inmitten des Grüns – ein Menetekel jener Unglücklichen, die der Sphinx bereits zum Opfer gefallen waren. Alles in Laura schrie nach Flucht – und dennoch zwang sie sich, ruhig weiter zu gehen und an die Worte ihres Vaters zu denken:
Nur wer aufgibt, hat schon verloren!
Hinter der nächsten Biegung reckte sich zu ihrer Linken eine schlanke Steinnadel empor: ein Obelisk. Laura wunderte sich noch über die zahllosen kleinen Lichtkugeln, die, Glühwürmchen gleich, um das Monument kreisten, als sie eine Bewegung bemerkte. Eine unheimliche, mächtige Gestalt schimmerte im Dickicht auf. Lianen glitschten wie lauernde Schlangen vom silbernen Rumpf des Monsters, während es sich aus der Deckung schob.
Laura erstarrte. Die Sphinx ähnelte haargenau der, die ihr des Nachts Albträume eingejagt hatte: Sie besaß den Leib eines geflügelten Löwen, während Oberkörper und Kopf eine Furcht erregende Kriegerin darstellten. Am unheimlichsten aber waren die Augen. Sie glühten feuerrot wie zwei riesige Rubine!
Laura ließ sich zu Boden fallen, duckte sich hinter einen dichten Farn und rührte sich nicht.
Doch der gewaltige Löwenleib glitt unaufhaltsam auf ihr Versteck zu. Fast mühelos bewegte er sich durch das Dickicht. Die mächtigen Schwingen stellten sich auf und fächerten Laura den strengen Modergeruch des Dschungels entgegen. Ihr war, als rinne flüssige Lava durch ihre Kehle, und ihre Lungen schienen zu brennen. Sie musste würgen und konnte das Husten nicht länger unterdrücken.
Da leuchteten die Rubinaugen auf und schössen Laura Blitze aus purpurnem Licht entgegen. Das Mädchen zuckte zurück, führte eine Hand vor die Augen, um nicht von den Strahlen geblendet zu werden, und wollte fliehen – konnte sich aber nicht bewegen.
Nicht einen Millimeter!
Als wolle die Sphinx sich über ihr Opfer lustig machen, öffnete sie den Mund und lachte aus vollem Hals, so laut, dass ihr Gelächter gleich dem Geläut mächtiger Glocken alles ins Vibrieren brachte und alle Geräusche des Dschungels übertönte. Dann begann sie zu sprechen.
»Es hilft doch nichts, wenn du dich versteckst, Laura«, erklärte sie sanft. »Keiner, auf den der Blick meiner Rubinaugen gefallen ist, kann mir jemals entkommen.« Ihre Stimme war überraschend angenehm. Wieder spielte ein Lächeln um ihren Mund. »Also erhebe dich, und löse meine Orakelfrage, sonst wirst du niemals an den See gelangen, der das Geheimnis des Lebens birgt!«
Laura wusste, dass ihr keine andere Wahl mehr blieb. Sie erhob sich, kam hinter dem Farn hervor und trat vor das Ungeheuer hin. »Worauf wartet Ihr dann?«, sagte sie trotzig. »Nur deswegen bin ich ja gekommen. Also lasst endlich hören!«
Die Sphinx verzog die silbernen Lippen zu einem wissenden Lächeln. »Du kannst es wohl gar nicht mehr erwarten, in den Tod zu gehen? Doch bevor ich dir die Frage stelle, solltest du eines wissen: Du hast nur eine Antwort! Eine einzige! Also überlege wohl, was du sagst. Aber auch nicht zu lange – denn keine Antwort ist genauso schlecht wie eine falsche und kostet dich ebenfalls das Leben, verstanden?«
Laura nickte nur, krampfhaft bemüht, ihr Zittern zu unterdrücken. »So schwer war das nun auch wieder nicht. Fangt endlich an!«, murmelte sie schließlich.
Wieder lächelte die Sphinx. »Wie du willst – dann höre also gut zu: ›Es kann dir zum größten Feind werden – oder zum besten Freund. Du kannst ihm niemals entfliehen, wohin du auch gehen
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