Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
Laura zustapfte.
Unaufhaltsam rückte es näher.
Laura lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Sie schnappte nach Luft und wich unwillkürlich zurück. Angesichts des wütenden Monsters kam sie sich winzig klein vor. Wie ein verschrecktes Kaninchen starrte sie auf das gewaltige Drachenmaul, das sich unter lautem Zischen öffnete und eine Reihe messerscharfer Zähne entblößte. Der tiefe Schlund schimmerte Laura scharlachrot entgegen, als eine hell lodernde Flammenzunge daraus hervorschoss. Reaktionsschnell sprang sie zur Seite, sodass die fauchende Lohe sie verfehlte. Aber schon tat das Ungeheuer einen weiteren Schritt auf sie zu und riss das Maul noch weiter auf, als wolle es sie mit Haut und Haar verschlingen.
»Pass auf, Laura!«, schrie Lukas aufgebracht, und auch die Stimme von Percy Valiant gellte jäh durch die nachmittägliche Stille: »‘alt! ‘alte ein, du Tölpel!« Verärgert zischte er den Drachen an: »Bist du des wilden Wa’nsinns willige Beute geworden? Miisch sollst cki angreifen – und niischt die liebreizende Mademoiselle ‘ier, die uns die E’re i’rer Anwesen’eit erweist!«
Da endlich legte sich Lauras Anspannung, und ein Lächeln der Erleichterung verzauberte ihr hübsches Gesicht. Das Mädchen pustete sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und beobachtete den Sportlehrer, der auf das Untier zutrat und vorwurfsvoll in das gähnende Maul blickte.
»Parbleu, ‘annes«, sprach er in den roten Schlund, »langsam entsage iisch der ‘offnung, dass du jemals begreifen wirst, wie man Niffi richtiisch bedient. Dabei enteilt uns die Zeit im Sauseschritt. Uns bleibt doch nascht mehr lange bis zur Premiere!«
Erneut züngelte Feuer aus dem Maul des Ungeheuers, diesmal allerdings nur in Form eines harmlosen Flämmchens, das schon gleich darauf verlosch, gefolgt von einer kläglichen Stimme. »Sony, Percy! Tut mir Leid, aber ich wollte deine Gäste wirklich nicht in Gefahr bringen!«
Während Laura und Lukas sich angrinsten, war ein Zischen zu hören, und der Lindwurm, der soeben die vordere rechte Tatze hob, erstarrte mitten in der Bewegung. Alles Leben wich aus dem Drachen. Das Furcht erregende Maul sperrangelweit geöffnet, verharrte er völlig reglos im Staub der Freilichtbühne. Sein geschuppter Leib reichte fast bis zum Boden. In seiner Flanke, dicht hinter dem Ansatz des Vorderfußes, wurde eine kleine, kaum wahrnehmbare Luke geöffnet. Der junge Mann, der daraus hervorkroch, erinnerte Laura wegen seiner gedrungenen Statur und der ungebändigt in die Stirn hängenden Haare an den Hobbit Sam aus den »Herr der Ringe«-Filmen. Mit zerknirschter Miene schritt der Rotschopf auf den Sportlehrer zu und hob bedauernd die Arme. »Ich tu mein Bestes, Percy«, sagte er. »Aber die Zeit zum Üben war zu kurz. Das Monstrum hier« – er deutete auf den bewegungslos hinter ihm stehenden Drachen – »ist ziemlich kompliziert zu dirigieren.«
Percys grimmiger Blick machte einem gutmütigen Lächeln Platz. »Schon gut, ‘annes!« Er zwinkerte seinem Gegenüber zu. »‘offen wir, dass dir bis zur Premiere noch ein Lischt aufge’t und du kapierst, wie das Baby ‘ier zu steuern ist. Sonst schwant mir Böses!«
Das Grinsen der Geschwister wurde noch breiter.
Von wegen Baby!
Der neue Drache, die viel bewunderte Attraktion der diesjährigen Drachenthaler Festspiele, war mehr als doppelt so groß wie das veraltete Modell, das über viele Jahre hinweg brav seinen Dienst versehen hatte – und ein Wunderwerk der Technik noch dazu. »Niffi«, wie Percy das Ungetüm fast zärtlich nannte, konnte sich nicht nur nahezu lebensecht bewegen, sondern zudem noch Rauch und Feuer spucken. Und die Geräusche, die es von sich gab, klangen so schaurig echt, dass sie Laura durch Mark und Bein gingen. Das Problem war nur, all die hochmodernen und höchst komplizierten Mechanismen, Hydraulik-Pumpen, Schaltkreise und Motoren, mit denen das Untier gespickt war, auch richtig zu bedienen. Und genau damit schlug Hannes Bernthaler, der schon für die Steuerung des alten Drachen zuständig gewesen war, sich seit dem Tag herum, an dem das neue »Baby« geliefert worden war.
»Hey, Hannes«, rief Lukas dem Rotschopf zu. »Erklärst du mir, wie das Teil hier funktioniert?«
»Nun, ja«, sagte Hannes gedehnt und kratzte sich unschlüssig am Kopf. Als Percy ihm jedoch aufmunternd zunickte, winkte er den Jungen zu sich heran. »Also gut, von mir aus. Komm schon!«
Rasch verschwanden die beiden im Drachenleib. Das
Weitere Kostenlose Bücher