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Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Titel: Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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nie der Augenblick gekommen sei.
    Es war wirklich einiges Missgeschick dabei, dass die Gründe auf beiden Seiten einander so sehr die Waage hielten. Mein Vater wog sie in allen Stimmungen und Gemütslagen gegeneinander ab, verbrachte manche qualvolle Stunde im tiefsten, ernstesten Nachsinnen über die Frage, was denn hier das Richtige sei; – las an dem einen Tage Bücher über Landwirtschaft, am anderen über Reisen, – legte jede Leidenschaft bei Seite, – betrachtete die beiderseitigen Beweise in jedem Licht, in jeder Zusammenstellung, – beriet sich täglich mit meinem Onkel Toby darüber, – räsonierte mit Yorick, besprach die Frage des Ochsenmoors mit Obadiah; – gleichwohl ergab sich in all der Zeit nichts, was so entschieden zu Gunsten des Einen sprach, was nicht ebenso auf das Andere anwendbar gewesen wäre, oder durch eine gleichgewichtige Betrachtung so im Gleichgewicht gehalten wurde, dass keine beider Schalen sank.
    Denn wenn das Ochsenmoor auch mit gehöriger Nachhilfe und in der Hand des rechten Mannes unzweifelhaft bald eine andere Rolle in der Welt gespielt haben würde, als es bis jetzt tat und in seiner gegenwärtigen Verfassung tun konnte, – so passte dies doch Alles auch ganz auf meinen Bruder Bobby, – mochte Obadiah sagen, was er wollte.
    In der reinen Gewinnfrage erschien der Kampf allerdings beim ersten Anblick nicht so unentschieden; denn wenn mein Vater Feder und Tinte zur Hand nahm und die Ausgaben berechnete, welche das Abrasieren, Abbrennen und Einzäunen des Ochsenmoors kosteten, und dann den sicheren Nutzen in Rechnung nahm, der sich daraus ergeben musste, – so stellte sich letzterer so wundervoll heraus, dass man hätte darauf schwören mögen, das Ochsenmoor werde Sieger bleiben; denn es war ja klar, dass er schon im ersten Jahre 100 Lasten Rübsamen, die Last zu 20 Pfund daraus erlösen würde, – im nächsten Jahre aber würde er eine treffliche Weizenernte bekommen; im dritten Jahre gab es gering gerechnet 100, – wahrscheinlich aber 150, – wo nicht 200 Malter Erbsen und Bohnen und endlos viel Kartoffeln. – Wenn er aber dann bedachte, dass er diese ganze Zeit über meinen Bruder eigentlich nur aufziehen würde wie ein Schwein, um jene zu fressen, – so schlug dieser Gedanke wieder Alles nieder, so dass sich der alte Herr in einem so unschlüssigen Zustande befand, dass er meinem Onkel Toby oft erklärte, er wisse so wenig wie sein Absatz, was er tun solle.
    Nur wer es selbst empfunden hat, weiß was für ein qualvolles Ding es ist, wenn zwei Pläne von gleicher Kraft an dem Herzen eines Menschen reissen und es hartnäckig nach ganz verschiedener Richtung zu ziehen suchen; denn abgesehen von dem Schaden, der dadurch bei einiger Konsequenz unfehlbar in dem feineren Nervensystem angerichtet wird, mittelst dessen die animalischen Geister und dünneren Säfte vom Herzen nach dem Kopfe u. s. w. geleitet werden, – wirkt eine solche nachteilige Friktion zugleich in hohem Grade auf die derberen und festeren Teile, verbraucht das Fett und mindert die Kraft eines Menschen mit diesem beständigen Vorwärts- und wieder Rückwärtsbewegen.
    Mein Vater wäre diesem Übel gewiss ebenso sicher erlegen als dies bei dem Missgeschick mit meinem Taufnamen der Fall war, wäre er nicht durch ein neues Unglück davon befreit worden: – mein Bruder Bobby starb.
    Was ist das Menschenleben? Ist es nicht ein beständiger Wechsel von Einem zum Andern? – von einer Sorge zur andern? – vom Zuknöpfen einer Unheilsquelle zum Aufknöpfen einer anderen?
     

118. Kapitel
    Von diesem Augenblicke an bin ich als mutmaßlicher Erbe der Familie Shandy anzusehen; und von diesem Zeitpunkt an datiert sich auch eigentlich die Geschichte meines Lebens und meiner Meinungen. Trotz all meiner Eile und Überstürzung habe ich doch nur erst den Grund geebnet, um das Gebäude darauf zu errichten; – ein Gebäude, wie allerdings seit Adam keines entworfen und aufgeführt wurde. In weniger als fünf Minuten werde ich meine Feder ins Feuer werfen und das Bisschen dicke Tinte, welches noch in meinem Tintenfass sitzt, ebenfalls; – ich habe in dieser Zeit nur noch zehnerlei Dinge zu tun – etwas zu benennen, – etwas zu beklagen, – etwas zu hoffen, – etwas zu versprechen, – etwas zu drohen, – etwas anzunehmen, – etwas zu erklären, – etwas zu verheimlichen, – etwas zu wählen, – etwas zu erbitten. – Ich nenne daher dieses Kapitel das der »Etwas«, – mein nächstes, wenn ich es

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