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Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Titel: Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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dass ich erst in dem Augenblick recht an die Liebschaft meines Onkels Toby kommen konnte, als die Wissbegierde meiner Mutter, wie sie die Sache nannte, – oder ein anderer Trieb in ihr, wie mein Vater zu verstehen gab, – sie zu dem Wunsch veranlasste, durch das Schlüsselloch zu sehen.
    Nenne das Kind bei seinem wahren Namen, mein Schatz, sagte mein Vater, und sieh' durch das Schlüsselloch, solang du willst.
    Nur ein Aufwallen jenes etwas herben Humors, der, wie ich schon oft bemerk habe, in meines Vaters Gewohnheit lag, konnte ihn zu einer solchen Unterschiebung veranlassen; – er besaß jedoch eine offene, edle Natur, die jeder Zeit der Überzeugung zugänglich war; es war ihm daher kaum das letzte Wort dieser unartigen Erwiderung entschlüpft, als ihm das Gewissen schlug.
    Meine Mutter hatte gerade ihren linken Arm in ehelicher Vertraulichkeit unter seinen rechten gesteckt, und zwar so, dass das Innere ihrer Hand auf dem Rücken der seinigen ruhte; – sie erhob jetzt die Finger und ließ sie wieder fallen, – man konnte es kaum einen Klaps nennen; oder wenn es einer war, – so wäre ein Casuist in Verlegenheit gekommen, wenn er hätte sagen sollen, ob es ein Klaps des Vorwurfs oder ein solcher des Zugeständnisses gewesen. Mein Vater, der vom Kopf bis zu den Füßen voll des feinsten Gefühls war, klassifizierte ihn richtig. Das Gewissen schlug ihm wiederholt, – er kehrte das Gesicht rasch nach der andern Seite, und da meine Mutter glaubte, er werde den Körper dieselbe Schwenkung machen lassen, um nach Hause zu gehen, brachte sich durch eine kreuzende Bewegung ihres rechten Fußes, wobei der linke als Mittelpunkt stehen blieb, so vor meinen Vater, dass er, als er das Gesicht wieder nach vorwärts wendete, ihr gerade ins Auge sah. – Neue Verwirrung! er sah tausend Gründe, um seinen Vorwurf auszustreichen und ebensoviel, um sich selbst einen zu machen: – vor ihm lag ein feiner, blauer, kühler, durchsichtiger Kristall in einer so ruhigen Stimmung, dass man das leiseste Stäubchen einer Begierde am Boden desselben hätte sehen müssen, wenn eines da war. Es war aber keines da: – und wie es kam, dass ich selbst so lüstern wurde, besonders etwas vor Frühjahrs- und Herbsttag- und Nachtgleiche, das weiß der Himmel! – meine Mutter, Madame, war es niemals, sei es nun von Natur, oder durch Erziehung oder Beispiel.
    In allen Monaten des Jahrs, in allen kritischen Momenten bei Tag und bei Nacht floss derselbe gemäßigte ruhige Strom durch ihre Adern. Auch führte sie ihrer Stimmung nicht die mindeste Wärme aus den handgreiflichen Aufwallungen frommer Traktätlein zu, in denen die Natur sich oft genötigt sieht einen derartigen Sinn zu suchen, da sie sonst keinen darin findet. Was aber das Beispiel meines Vaters betrifft, so war es soweit davon entfernt, sie in dieser Richtung zu unterstützen oder gar zu reizen, dass er es sich vielmehr sein Leben lang zum Geschäft gemacht hatte, alle Phantasien dieser Art von ihrem Kopfe ferne zu halten. – Allein die Natur hatte schon das Ihrige getan, um ihm diese Drangsal zu ersparen – und was durchaus nicht unvereinbar damit war, – mein Vater wusste das. – Und hier sitze ich an diesem zwölften Tag des August 1766 in einem purpurroten Wams und gelben Pantoffeln ohne Perücke und Mütze, eine höchst tragikomische Erfüllung seiner Prophezeiung: »Dass ich gerade deshalb weder denken noch handeln würde wie das Kind anderer Leute.«
    Der Missgriff meines Vaters bestand darin, dass er den Beweggrund meiner Mutter angriff, statt die Handlung selbst; denn die Schlüssellöcher sind allerdings zu etwas Anderem da; und wenn man die Handlung als eine solche betrachtet, die dieser allgemeinen Wahrheit widersprach, und ein Schlüsselloch nicht für das gelten ließ was es war, – so wurde sie eine Verletzung der Natur und insofern ein Verbrechen.
    Aus diesem Grunde, mein geehrter Leser, geben die Schlüssellöcher zu mehr Sünde und Schlechtigkeit Anlass als alle andere Löcher der Welt zusammen.
    Was mich auf die Liebschaft meines Onkels Toby führt.
     
    281. Kapitel
    Der Korporal hatte zwar sein Wort gehalten und die große Knotenperücke meines Onkels Toby neu gelockt, aber die Zeit war zu kurz gewesen, um damit eine große Wirkung zu erzielen. Sie hatte viele Jahre lang ganz zusammengedrückt in einer Ecke des alten Feldkoffers gelegen; und da hierdurch schlechte Formen nicht so leicht besser werden und die Benutzung von Lichterstumpen ihm noch nicht recht

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