Lauter Bräute
irgendwo in Neu-England hätte halten können. Miß Caswell hatte offenbar den gleichen Eindruck gehabt, als sie Miß Browns Auftrag notierte — das bescheidene 110-Dollar-Kleid (Bruno bezeichnete es als sehr tragbares Modell) und das ebenso bescheidene Schleiergesteck für 45 Dollar. Das Mädchen sah ernsthaft, zielstrebig und nach harter Arbeit aus, und unwillkürlich seufzte ich auf, denn mit ihr war ohne jeden Zweifel einiger Kummer für uns fällig.
Ich ging auf sie zu und stellte mich vor. »Es tut mir leid, daß Miß Caswell für Ihre Anprobe nicht zur Verfügung ist — sie wurde sehr plötzlich abgerufen. Ich werde mich mit Vergnügen an ihrer Stelle um Sie kümmern.«
Sie antwortete leise: »Ich hoffe, Miß Caswell ist nichts zugestoßen. Sie war sehr freundlich und hilfsbereit.«
»Ihrer Mutter geht es nicht gut.«
»Das tut mir aber leid.« Sie war ehrlich bekümmert.
Ich führte sie in die große Anprobe, die ich für diese Gelegenheit reserviert hatte. Beim Eintreten blickte sie sich lächelnd um: »Oh, wie eindrucksvoll! Beim erstenmal habe ich mein Kleid in einem viel kleineren Raum anprobiert.«
»Diesen reservieren wir für besondere Gelegenheiten.«
Sie lachte. »Tatsächlich? Da komme ich mir direkt wichtig vor.«
»Die kleinen Anproben scheinen alle besetzt zu sein«, sagte ich. »Möchten Sie Platz nehmen?«
Sie setzte sich in einen kleinen, grauen Sessel, die Stirn leicht gerunzelt. Ich glaube, bei ihr war ein erster, vager Verdacht aufgeflackert, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.
Ich fuhr fort: »Sie dürfen hier rauchen, wenn Sie möchten. Es ist zwar im Grunde nicht erlaubt, aber alle tun es.«
»Ich rauche wie ein Schlot«, sagte sie. »Das ist mein großes Laster. — Sie auch eine?«
»Nein, danke.« Ich fand einen Aschenbecher und brachte ihn ihr, dann zog ich eines unserer Goldstühlchen heran und setzte mich vom auf die Kante: »Nun zu Ihrem Kleid. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
Sie beugte sich hastig vor. Die Stimme blieb leise wie bisher. »Ist etwas mit meinem Kleid? Hoffentlich nicht. Ich heirate nächste Woche.«
»Nein. Ihr Kleid und der Schleier sind fertig.«
Sie lachte etwas unsicher. »Gott sei Dank.« Wieder beugte sie sich vor. »Mein Scheck ist auch nicht zurückgekommen, oder?«
»Um solche Dinge handelt es sich nicht.«
Sie war ratlos und verwirrt. »Um was dann?«
»Ihre Schwester war am Montag hier.«
Ihre Augen weiteten sich erstaunt. »Meine Schwester? Lucy?«
»Ja. Sie entdeckte, daß Sie Ihre Brautausstattung hier bestellt hatten, und bat darum, sie ansehen zu dürfen. Sie erklärte, daß sie nicht zu Ihrer Hochzeit gehe und sich wenigstens vorstellen wollte, wie Sie aussehen werden.«
»Aber wie, um alles in der Welt, fand sie heraus, daß ich meine Sachen hier bestellt habe?«
»Von einer Freundin.«
»Oh, natürlich. Von Sally Ann Greer. Typisch Lucy. Wenn sie sich einmal etwas vorgenommen hat,, gibt es kein Aufhalten.« Sie lächelte traurig. »Sie kam also her, um mein Kleid anzusehen? Sie haben es ihr hoffentlich gezeigt?«
»Leider ja.«
Ernsthaft sagte Miß Brown: »Das war nicht falsch. Bitte, denken Sie das nicht. Ich bin sehr froh, daß Sie es ihr gezeigt haben. Schließlich ist sie meine Schwester, und ich habe sie sehr lieb.«
»Ich bin nur deshalb beunruhigt, weil sie am Tage darauf, Dienstagmorgen, mit Ihrem Vater wiederkam, der sich das Kleid ansehen sollte.«
Plötzlich blaß geworden, lehnte Miß Brown sich zurück. »Oh? Tatsächlich?«
»Ich versuchte, Mr. Brown zu erklären, daß ich ihm Ihr Brautkleid nicht ohne Ihre Einwilligung zeigen könne —«
Ein bitteres Auflachen.
»- aber Ihr Vater verfügt über großen Einfluß — «
Wieder ein Lachen. »Ja, nicht wahr?«
»— und so mußte ich es ihm schließlich doch zeigen«, schloß ich.
»Wie komisch! Ich kann es gar nicht abwarten, es Andrew zu erzählen!« Sie war noch immer blaß, doch ihre Augen glitzerten. »Und was sagte mein lieber Vater? Hat er eine seiner üblichen brillanten Bemerkungen gemacht? Er ist berühmt für seinen Witz, müssen Sie wissen. Was hat er gesagt?«
»Er schien das Kleid für Sie nicht gut genug zu finden.«
»Tatsächlich? Sieh an!«
Ich schwieg.
Sie überlegte einen Augenblick; dann sagte sie: »Das hat sicher Lucy angezettelt. Sie ist ein bißchen größenwahnsinnig, unsere Lucy. Wahrscheinlich träumt sie davon, daß Andrew auf einem weißen Roß zum Altar geritten kommt, wo ich
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