Lautlos im Orbit (1988)
Jungen schlang. Es war ein solider Strick, eigentlich schon mehr ein Seil.
Der Junge lehnte schläfrig am Stamm, seine Augen waren halb geschlossen. Den Fallschirm hatte er zu einem Paket verschnürt und auf seinen nackten Rücken gebunden. »Was soll dieser Unfug?« fuhr Glenn Morris auf.
Der Junge war sofort hellwach. Und seine plötzliche, kraftvolle Bewegung weckte Zweifel daran, daß er wirklich noch so jung war, wie es den Anschein hatte. Vielleicht hatte Glenn Morris sich dadurch täuschen lassen, daß der andere nur mit einer knielangen Hose bekleidet war. So wie dieser waren die meisten Jungen von Wyoming an warmen Sommertagen herumgelaufen, als Glenn Morris selbst noch ein Junge war. Allerdings hätten sie nie mit einem gespielt, der so dunkles Haar und eine so braune Haut hatte wie der da.
Der Kerl konnte also durchaus ein Mann sein. Das war bei diesen Indios, die ohnehin alle gleich aussahen, dunkel und schmutzig, wirklich nicht leicht zu erkennen. Jedenfalls waren seine Bewegungen sicher und schnell wie die eines trainierten Sportlers, als er sich von dem verbrannten Stamm löste und Glenn Morris den Kühlkopf des Lasers in die Seite stieß, der Waffe, die er ihm aus der Tasche des Overalls gestohlen hatte.
»Ganz ruhig!« sagte er in der seltsam harten Sprache der Indios. »Sonst…« Und der Druck der Waffe verstärkte sich.
»So, und jetzt das hier ansehen!« fuhr er fort, als er sich anscheinend überzeugt hatte, daß sich sein Gefangener unter dem Eindruck der Waffe zumindest vorerst in seine Lage schicken würde.
Dabei hielt er Glenn Morris die geballte Linke unter die Nase. »Sie ist scharf, ganz scharf!«
Morris fühlte, wie ihm ein Schauer des Entsetzens über den Rücken lief. Denn die schmutzige Faust des Mannes hielt eine jener verheerend wirkenden Handgranaten, die, mit Quer- und Längsrillen versehen, eine unglaubliche Splitterwirkung entfalten konnten. Und dieses Mordinstrument war wirklich scharf, denn der Haltebolzen war gezogen, und das einzige, was die sofortige Explosion noch verhinderte, war der Daumen dieser graubraunen Faust, der den Abzugsbügel niederdrückte.
Glenn Morris zog den Kopf zwischen die Schultern. Zum erstenmal in seinem Leben saß er nicht an den Schalthebeln der Vernichtung, sondern auf deren anderer Seite, dort, wo man das häßliche Gesicht des Todes vor Augen hat. Zum erstenmal spürte er wirkliche Angst um sein Leben, ein Gefühl, das er angesichts des kleinen Indios als äußerst demütigend empfand.
»Ich und du – Todeskommando!« sagte der Mann und entblößte zwei Reihen sehr weißer Zähne. Aber das war kein Lächeln, es war eine Grimasse des Zorns.
»Los!« Wieder stieß der Kühlkopf des Lasers zu. »Gehen! Nach Ost. Schnell, schnell!«
»Ich habe Durst, verflucht noch mal!« sagte Morris. Seine Gedanken begannen sich nun ernsthaft mit seiner Situation zu befassen, die alles andere als erfreulich war. Zwar: zweifelte er nicht, daß es ihm irgendwann gelingen würde, den kleinen Mann, der da hinter ihm ging, zu überwältigen, er fühlte sich ihm weit überlegen, und ein einzelner Bewacher saß immer am kürzeren Hebel, aber da war diese entsetzliche Handgranate. Er konnte nicht einmal darauf hoffen, daß dieser Indio heute oder morgen vom Schlaf übermannt werden würde, denn das wäre schon das Ende. Der Strick und die Handgranate verbanden ihn mit diesem Desperado auf Gedeih und Verderb. Zumindest vorläufig.
»Hast du gehört?« sagte er nach rückwärts. »Durst habe ich!« Und er machte die Geste des Trinkens.
»Später!« Der Mann stieß ihm den Laser abermals schmerzhaft in die Gegend der rechten Niere. »Erst gehen! Schnell!« Aus irgendeinem Grund schien er in großer Eile zu sein.
Glenn Morris stellte sich vor, was geschehen könnte, wenn sie einem größeren Raubtier oder gar einer der in diesem Teil der Welt so häufigen, meist auf eigene Faust operierenden Banden begegnen würden. Und er kam zu dem Schluß, daß er kaum eine Chance hatte, dieser vertrackten Situation mit heiler Haut zu entgehen, aber mindestens ein dutzendmal die Aussicht, sein Leben zu verlieren.
Sie gingen den halben Tag, eine Nacht und den nächsten Vormittag lang genau nach Osten, und während der ganzen Zeit sahen sie keinen einzigen Menschen. Sie gingen schnell durch in endlosen Reihen angepflanzte Plantagen, die ausschließlich aus Kaffeebäumen bestanden.
In der Nacht war es empfindlich kalt, während gegen Mittag, obwohl sie sich im Schatten
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