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Lautlos im Orbit (1988)

Titel: Lautlos im Orbit (1988) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus - Lautlos im Orbit Frühauf
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Vielleicht macht die Nähe des Todes den Menschen wirklich hellsichtig.
    Die Atmosphäre in der Zentrale scheint sich an bestimmten Stellen zu verdichten, bisher noch unbewußte Einsichten kristallisieren zu Wahrheiten. Plötzlich, nach mehr als einer halben Stunde des Grübelns, sehen sich die Männer in der Zentrale als das, was sie übermorgen sein werden, als Tote.
    Der kleine Funker Walter Graves beginnt vor sich hin zu flüstern, ganz leise anfangs noch, aber ich weiß, daß er der erste ist, in dem sich Vermutungen zur Gewißheit verdichtet haben.
    Und plötzlich sein Schrei, wie eine Explosion: »Nein, nein! Das dürfen Sie uns und der Welt nicht antun, Commander! Mein Gott! Wir sind doch alle Menschen!« Und dann wieder flüsternd: »Es wäre Mord, Commander, millionenfacher Mord!«
    Glenn Morris erhebt sich gelassen. Groß und golden schimmernd wie eine Statue, schwebt er inmitten der Zentrale, die Kniekehlen gegen die Kante seines Sessels gestützt. »Graves! Nehmen Sie sich gefälligst zusammen, Mann!« Seine Stimme ist voll von eiskaltem Hohn. »Bis heute war ich überzeugt, daß Sie den Tod nicht fürchten. Wollen Sie mir beweisen, daß es auch unter Leuten wie Sie Feiglinge gibt?«
    Graves schweigt. Sein Gesicht ist ganz grau geworden unter der Bräune. Aus seinen dunklen Augen zuckt ein Blick hinüber zu Glenn Morris.
    Der hat sich unterdessen, noch immer vor seinem Sessel stehend, das Mikro der Rufanlage gegriffen. In seiner Stimme schwingt ein Rest von Genugtuung: »Hier spricht der Commander! Ich rufe Doktor Warren. Doktor Warren bitte sofort in die Zentrale. Und bringen Sie Ihre Spritzen mit, Doktor. Ich glaube, unser Erster Funker braucht dringend ein Beruhigungsmittel. Beeilen Sie sich!«
    Es ist eine seiner kleinen Bosheiten, die sich so schnell bis zur psychischen Vernichtung eines Opfers steigern können. Er hätte es nicht nötig gehabt, die allgemeine Kommunikationsanlage zu benutzen. Er weiß genau, wo Doktor Warren zu finden ist.
    Graves aber sitzt noch immer in seinem Sessel und blickt auf den goldschimmernden Mann in der Mitte der Zentrale. In seinen schwarzen Augen brennt ein Feuer, dessen Ursprünge ich nicht zu erkennen vermag.
     
    Als in der unteren linken Ecke des Bodenbildschirms das Blaugrün der Insel Sachalin das Ochotskische Meer zu verdrängen beginnt, schiebt sich der Commander von seinem Sessel ab und blickt sich in der Zentrale um. »Lieutenant Brake! Leitung übernehmen!« befiehlt er. »Und passen Sie mir gut auf unseren Funker auf. Captain McBruns, Captain Newman! Sie kommen mit mir.« Und er gleitet aus der Zentrale, ohne sich noch einmal umzublicken.
    Entgegen seiner Gewohnheit führt er uns weder in seine Kammer noch in eine der kleinen Kaffeeküchen im Außenring, sondern in den Schaltraum der Zentrale, in den die Rückseiten der Geräte hineinragen und dessen Wände mit Kabeln, Leitungen und Instrumenten übersponnen sind. Es ist einer der ungemütlichsten Räume an Bord überhaupt, für den Aufenthalt von Menschen nicht eingerichtet, aber offenbar möchte sich der Commander in dieser Situation nicht allzuweit von den Geschehnissen entfernen. Mir geht der Gedanke durch den Kopf, daß Glenn Morris in der vergangenen Nacht zum letztenmal in seinem Leben geschlafen haben dürfte.
    Irgendwo zwischen der Wand und dem davor angeordneten, flächenhaften Gewirr der Installationen tickt ein Puls. Der Atem der elektronischen Geräte. Sein Pochen scheint von Sekunde zu Sekunde lauter zu werden.
    Vor etwa fünf Minuten haben wir die Küste Sachalins überflogen. Rund einundsechzig Stunden werden vergehen, ehe wir dieselbe Position erneut erreichen. Eine Galgenfrist.
    Ich muß diese entsetzliche Station mit all den an Bord versammelten Narren endlich aus dem Orbit sprengen.
    »Dieser Mister Graves scheint mir der einzige zu sein, der die Situation im Detail erkannt hat«, sagt Glenn Morris und löst seinen Blick von der Wand. Seine Stimme ist sehr leise und klingt, als spräche er mit geschlossenen Lippen. Er irrt sich, denn auch ich bin mir seit einigen Stunden sicher, daß er die Welt mit einem Alleingang zu überraschen gedenkt.
    »Der Start des Stabsshuttles hatte nichts mit dem Beginn des Planes Alpha zu tun, meine Herren«, fährt er fort, und dabei kräuseln sich seine Lippen in plötzlicher Geringschätzung. »Es war eine Flucht, nichts anderes. Der Präsident und seine Berater sind aus Angst vor ein paar tausend Ignoranten und einer Babyrakete geflohen. Das ist die

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