Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lautlos im Orbit (1988)

Titel: Lautlos im Orbit (1988) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus - Lautlos im Orbit Frühauf
Vom Netzwerk:
Situation!«
    Wir schweigen. In dem breiten, normalerweise nahezu unbeweglichen Gesicht Harold Newmans kann ich deutlich lesen, daß auch er dabei ist, zu begreifen, wie es um uns steht. Er blickt zu Boden auf das kunstvolle Muster der ineinander verschachtelten Metallplastplatten.
    Ich lausche dem Puls der Odin, der scheinbar immer lauter und lauter tickt. Jeder dieser einzelnen Töne hackt mir eine nutzlose Sekunde meines Lebens ab.
    »Abgehauen?« sagt Newman nach einer langen Zeit atemlosen Schweigens, und ich stelle fest, daß in seiner Frage nicht die Spur von Verwunderung mitschwingt. Sie hört sich eher an, als habe er mit nichts anderem gerechnet. »Er hat also uns, Amerika, im Stich gelassen, Sir?«
    Glenn Morris bläst die Wangen auf. »Er hat die Welt im Stich gelassen, Newman, die ganze Welt. Von einer Sekunde zur anderen ist die Erde führerlos. Das…«
    »Laut Gesetz übernimmt in einem solchen Fall der Vizepräsident die Geschäfte. Und wenn auch der nicht zur Verfügung steht, der Kongreß oder…« Newman bricht ab. Sogar er weiß, daß der Commander mit derartigen Erwägungen nicht von seinem Plan abzubringen ist. Der Vizepräsident dürfte sich ebenfalls an Bord des Stabsshuttles befinden, und der Kongreß, in dem seit mehreren Jahren die Republikaner über die Mehrheit verfügen, setzt sich – zumindest nach des Commanders Überzeugung – aus Schwächlingen und Versöhnlern zusammen. Auf den Kongreß zählen zu wollen könnte ihn höchstens zu lautem Gelächter veranlassen.
    Glenn Morris zieht es vor, Newmans Bemerkung nicht zur Kenntnis zu nehmen. Er strafft sich. »Sie sollten begreifen, daß wir vielleicht die letzten sind, denen sich die Chance bietet, unser System, unsere Welt zu retten, Newman.«
    Das klingt pathetisch, aber ich glaube, es ist genau das, was Glenn Morris in diesem Augenblick fühlt.
    »Woher, Commander, wollen Sie wissen, daß er wirklich geflohen ist?« schalte ich mich ein. Abermals habe ich das absurde Gefühl, daß es um den Gewinn von Sekunden geht, daß jeder Moment, um den ich das Ende hinauszögern kann, eine Ewigkeit an Leben bedeutet.
    Der Commander würdigt mich nicht einmal einer Antwort, und sein Blick sagt mir, daß jedes weitere Wort verloren wäre.
    Wieder nur das Schweigen und der Takt des Pulses. Und in diesem Schweigen wächst das Grauen heran, zornig zur Kenntnis genommenes Grauen, das sich träge, aber unaufhaltsam ausbreitet, begleitet und stimuliert von dem tickenden, toten Puls der Maschinen.
    Wir warten. Warten auf ein Wort des anderen, auf einen Hinweis, daß es irgendwo eine bisher übersehene Nische der Rettung gibt, einen Strohhalm, an den man sich klammern könnte. Und wir wissen doch, daß wir eigentlich bereits ertrunken sind. Wir befinden uns schon außerhalb der Welt. Wir alle.
    Seltsam, daß man in einer solchen Situation weniger Angst als Zorn empfindet. Ich vermochte mir bisher nicht vorzustellen, daß ein Ertrinkender wütend auf das Wasser sein könnte, das ihn am Atmen hindert.
    Ein Knacken im Kommunikator. Und gleich darauf Brakes Stimme, die in letzter Zeit immer ein wenig maschinenhaft klingt, fast ohne Intonation: »Achtung! Sofort Kampfstände besetzen! Annäherung unidentifizierter Flugkörper aus Quadrant neunzehn Nord. Höhe schnell fallend. Geschwindigkeit…«
    »Kollisionskurs!« hackt die scharfe Stimme Donald Morgans dazwischen.
    »Gefechtsbereitschaft herstellen!« befiehlt Morris, klappt das Visier seines Helms herunter und stürzt zur Tür.
    Newman und ich folgen ihm auf dem Fuß. Der Skaphander mit der geschlossenen Helmscheibe schirmt mich ab gegen die Welt dort draußen, gegen alles und jeden. Ich bin allein.
    Als ich hinaus in den Gang zur Zentrale haste, schaltet sich die Warnanlage ein, das an- und abschwellende Heulen des Rotalarms tobt durch alle Räume der Station, und die roten Warnscheiben an Decken und Wänden verstrahlen flackernd blutiges Licht. Aber all das berührt mich kaum.
     
    Mein erster Blick gilt selbstverständlich dem Kampfstand. Balmein sitzt vornübergeneigt in meinem Sessel, die Augen an die Okularmuscheln des Sichtgerätes gepreßt. Er hat den Kopf so weit zwischen die Schultern gezogen, daß sein blonder Haarschopf auf der Dichtungsmanschette seines Skaphanders aufliegt. Die Farbe seines Skaphanders ist ein verwaschenes Graugrün wie die meines eigenen.
    »Gefechtsbereitschaft ist befohlen!« zischt Glenn Morris. »Setzen Sie die Helme auf und schließen Sie die Visiere, verdammt noch

Weitere Kostenlose Bücher