Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lautlos im Orbit (1988)

Titel: Lautlos im Orbit (1988) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus - Lautlos im Orbit Frühauf
Vom Netzwerk:
Grund für das Gesinge konnte sich Philipp kaum vorstellen, die Vermutung, irgend jemand könne glauben, diese Hymne werde aus Überzeugung gesungen, hätte er weit von sich gewiesen. In den ersten Stunden hatte er erhebliche Schwierigkeiten, da er weder Text noch Melodie kannte, später schloß und öffnete er wenigstens des Mund hinreichend synchron.
    Stets aber kam er sich, wenn die anderen sangen und er tat, als ob er singe, wie ein Verräter vor.
    So bestand der größte Teil seines Lebens in Iverton aus Geschehnissen und Vorgängen, denen er nur sehr wenig oder überhaupt keine Freude abzugewinnen vermochte. Daheim, falls man den mühsam abgedichteten, in allen Fugen knarrenden Bretterschuppen als Heim bezeichnen konnte, den ewig unruhigen und oftmals nörgelnden Vater, den die Eingewöhnungszeit in Iverton zur Untätigkeit verdammte, Ma von einer Geschäftigkeit, die spätestens nach zwei Stunden gewohnter Hausarbeit ins Leere stieß, weil alles getan war, was an einem Tag getan werden konnte, und in der Schule äußerliche Loyalität, die sich wie eine alles erstickende Decke über die Schüler breitete. Dies eigentlich hielt ihn aufrecht, daß er ganz genau spürte, sich in einer Gemeinschaft wenigstens annähernd Gleichgesinnter zu befinden, daß er genau wußte, seine Mitschüler fühlten nicht viel anders als er. Ihre Auflehnung konnte seinem geschulten Gespür für Renitenz nicht entgehen, auch wenn sie sich kaum jemals äußerte.
    So kam es, daß er häufig in den Klippen der Bloody Rocks saß, hinaus auf den Nordkanal starrend, wo man linker Hand, wenn es nicht gerade sehr dunstig war, die alte Schmugglerinsel Rathlin Island und drüben auf der anderen Seite des Kanals bei guter Sicht den Strand von Kintyre erkennen konnte.
    Hin und wieder blickte er sich auch mit erhobenem Kopf um, und dann sah er oben auf den Klippen eine Andeutung des Drahtzaunes, hinter dem sich die Gunslinger verschanzt hatten. Manchmal hörte er ihre Befehle bis herunter in die Klippen oder das Trappeln ihrer schweren Stiefel und das Geräusch der sich drehenden Antenne. Dann ballte sich unwillkürlich seine Hand zur Faust.
    In solchen Momenten wünschte er sich seine alte Stofftasche voller Steine herbei, aber gleich darauf nahm er sich ganz fest vor, sich von der erzwungenen Untätigkeit nicht unterkriegen zu lassen.
     
    Als er sechzehn war, traf er sich zum erstenmal mit Sandy in den Klippen. Nicht daß er sich mit ihr verabredet hätte. Sie um ein Stelldichein zu bitten, hätte er nicht gewagt. Denn Sandy galt als ebenso arrogant, wie sie hübsch war, man sagte, wenn sie einen Freund habe, was hin und wieder der Fall zu sein schien, dann handele es sich immer um wesentlich ältere Jungen, eigentlich schon um Männer. So hielt er sich zurück, denn das letzte, was er riskieren mochte, war ein Korb von ihr.
    Er kreiste sie quasi ein, verabredete sich mit dieser oder jener seiner Mitschülerinnen, trieb sich mit ihnen in den Klippen herum und hoffte, daß sie über ihre Abenteuer schwatzen würden. Er war überzeugt, daß Mädchen untereinander viel mehr über Liebesdinge redeten als Jungen.
    Als er Sandy durch die Klippen heraufsteigen sah, fühlte er sich wie ein Feldherr nach einer gewonnenen Schlacht. Er war überzeugt, daß er ihre Anwesenheit nur seiner Taktik zu verdanken hatte.
    Sie trug eine helle Bluse und einen roten Rock, der nur bis zwei Handbreit oberhalb der Knie reichte. Ihre Schuhe waren so leicht, daß sie eigentlich schon das Pflaster der Straßen von Iverton zu fürchten hatten, ganz zu schweigen von den scharfen Kanten der Klippen. Er stand auf und half ihr über die letzten Steine hinweg. »Mein Gott!« sagte sie atemlos. »Weshalb verkriechst du dich an einem solchen Ort?« Dann sah sie das Meer, dessen Weite an diesem Tag durch den bläulichen Streifen Kintyres begrenzt wurde. »Ah, ist das schön. Jetzt begreife ich. Du bist ein Romantiker, nicht wahr?«
    Mädchen mögen Romantiker, sagte er sich, und deshalb unterließ er es, ihr zu widersprechen.
    Sie redeten wenig, saßen nur nebeneinander und schauten auf das Meer hinaus. Nur ganz selten blickten sie einander an. Sandy hockte ein wenig unglücklich auf dem Taschentuch, das er ihr über die Steine gebreitet hatte, die Füße angezogen und die Hände vor den Knien verschränkt, eine Haltung, die man erfahrungsgemäß nicht länger als zehn Minuten ertragen kann, wenn man kein Fakir ist. Sie hielt länger durch, als er geglaubt hatte, nur hin und

Weitere Kostenlose Bücher