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Lautlos im Orbit (1988)

Titel: Lautlos im Orbit (1988) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus - Lautlos im Orbit Frühauf
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wieder bewegte sie den Kopf ein wenig, um den Wind in ihrem langen Haar spielen zu lassen oder um ihn anzublicken.
    »Du kannst nicht besonders gut singen, stimmt’s?« fragte sie bei einer solchen Gelegenheit.
    Er witterte einen bevorstehenden Ausbruch der Arroganz, die man ihr nachsagte. »Wieso?« fragte er zurück.
    »Morgens in der Schule, beim Singen der Hymne, machst du nur den Mund auf und zu, wenn ich mich nicht irre.«
    Er brummte etwas, was ebenso Zustimmung wie Ablehnung sein konnte. Das Thema behagte ihm nicht. Er sang erstens nicht mit, weil er nicht singen konnte, und zweitens nicht, weil er diese Hymne nicht singen mochte. Aber das ging sie nichts an, das war ganz allein seine Sache. »Mein Gott!« fuhr sie ihn an. »Sag doch etwas.«
    Er lehnte sich zurück, die Hände im Nacken gefaltet. Über dem Kanal, der blau war wie der Abendhimmel, traten die ersten Sterne aus dem Dämmer.
    »Glaubst du an ihn?«
    Sie beugte sich weit zu ihm herüber. Er spürte ihre Brust an seinem Arm. »An wen?« fragte sie. »An Gott. Du hast zweimal ›Mein Gott‹ gesagt.« Sie blickte ihm lange und forschend ins Gesicht. Dann schob sie sich von ihm ab und stand auf.
    »Sieh dich um!« rief sie und drehte sich, einen Arm ausstreckend, auf dem winzigen Plateau des Steines. Es sah so halsbrecherisch aus, daß er aufsprang und sie festhielt.
    »Das ist Gott!« rief sie in seinen Armen. »Das Meer, die Klippen, du, die ganze Erde, das alles ist Gott. Ist es nicht wunderbar?«
    Da er sie nun einmal in den Armen hielt, blieben sie lange so stehen und küßten sich von Zeit zu Zeit. Schließlich gingen sie ein Stück seitwärts in die Klippen, bis sie einen flachen Hang fanden, der mit typisch irischem Gras bewachsen war.
    Sie erlebten kein Wunder auf diesem Hang, dazu waren sie viel zu aufgeregt. Auch Sandy. Was ihn an der Glaubwürdigkeit der Gerüchte über ihre Männerbekanntschaften zweifeln ließ.
     
    Obwohl man ihn daheim nie fragte, wo er gewesen sei, auch nicht, wenn er ziemlich spät nach Hause kam, diesmal hatte er kein gutes Gefühl, denn als sie »ihren« Hang verließen, lag drüben über dem dunklen Streifen von Kintyre bereits ein heller Schimmer. Hier im Norden waren die Sommernächte sehr kurz.
    Ma war nicht schlafen gegangen. Da sie nicht mit Hausarbeit beschäftigt war, sondern lesend in ihrem Sessel saß, mußte er sich sagen, daß sie auf ihn gewartet hatte. Er wollte sich entschuldigen, weil er sie um ihren Schlaf gebracht hatte, aber sie winkte nur ab, legte das Buch zur Seite und ging hinüber in die Küchenecke, wo sie am Herd zu hantieren begann.
    Es hatte keinen Sinn, jetzt noch zu Bett zu gehen. »Warst du mit deinem Vater zusammen?« fragte sie irgendwann.
    Er schüttelte schweigend den Kopf und kaute weiter lustlos an seiner Scheibe Schwarzbrot herum. Er war müde und noch immer ungewöhnlich erregt.
    Dann fiel ihm auf, daß Pa nicht daheim war, die Liege in der Nische war unbenutzt.
    Ma sah seinen Blick. »Versammlung«, sagte sie. Und dann: »Ich bin sicher, daß er wieder damit anfängt.«
    In ihren Worten war keine Kritik, nur tiefe Besorgnis. Er wußte, daß sie weder Pa noch ihn in irgendeiner Weise zu beeinflussen suchte, aber er wußte auch, daß sie unter diesem Leben, dieser anhaltenden Ungewißheit litt. Vor dem Schulgebäude traf er auf Sandy. Er war zuerst ein wenig unsicher, wie er sich nach dem, was zwischen ihnen geschehen und nicht geschehen war, verhalten sollte, aber da er den Eindruck hatte, sie habe auf ihn gewartet, ging er auf sie zu und gab ihr die Hand.
    Sandy lächelte, und trotz der Spur von Müdigkeit um ihre Augen schien sie ihm hübscher als jemals zuvor. Sie trat ganz nah an ihn heran, hob sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf die Wange. Als er sich, ebenso verblüfft wie glücklich über diese öffentliche Geste, verstohlen umblickte, lachte sie hell auf. »Ich glaube, das mußte sein«, sagte sie. »Damit du weißt, woran du mit mir bist.«
    Vor dem Klassenzimmer hielt sie ihn am Arm fest und bedeutete ihm, sich zu ihr herabzuneigen. »Heute morgen habe ich deinen Vater kennengelernt«, flüsterte sie. »Bei uns zu Hause. Sie sitzen zusammen und schmieden Pläne. Die ganze Gruppe.«
    Es durchfuhr ihn siedendheiß. Die Zeit der Untätigkeit ging offenbar ihrem Ende entgegen. Pa hatte endlich Freunde gefunden, Gleichgesinnte. Und er selber? Sollte er wieder Steine werfen? Mit sechzehn Jahren Steine gegen Zäune werfen? Kinderkram! Mit sechzehn war man so

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