Lautlos im Orbit (1988)
gut vorstellen«, sagt er abschließend, »und vor allem scheint es mir menschlich leicht verständlich, daß man auch an Bord dieses Kampfsatelliten über die Tests mit Todesviren nachzudenken begonnen hat. Denn Nachdenken, Herr Verteidigungsminister, ist eine Tätigkeit, die sich auch durch die beste und effektivste Ausbildung in Ihren Militärakademien auf Dauer nicht verhindern läßt. Ich jedenfalls kann einem mit Denken begabten Menschen nicht verübeln, daß er den Verursacher tausendfachen Leides vernichtet. Daß es im vorliegenden Fall unter Hingabe des eigenen Lebens geschehen ist, macht diesen Mann in meinen Augen zum Helden.«
Schon mehrmals ist Herr Liang Hoa durch Applaus unterbrochen worden, aber stets, wenn er andeutete, weitersprechen zu wollen, trat wieder Stille ein.
Jetzt allerdings geht seine Stimme in Beifallsbekundungen unter. Vielleicht deshalb setzt er seinen Ausführungen die Krone auf, als endlich wieder Ruhe eintritt.
»Ich nenne Ihnen den Namen dieses hervorragenden Mannes, Herr Verteidigungsminister«, fährt er fort, »Lieutenant der U.S. Space Force, Peer Bergerson, zweiunddreißig, geboren in Providence, Connecticut. Seine Leiche ist von unserem Beobachtungssatelliten geborgen worden, und wenn Sie, Herr Minister, auch nur über einen Funken Menschlichkeit verfügen, dann gestatten Sie uns, den Helden Peer Bergerson zu seiten des Platzes des Volkes in Peking beizusetzen.«
Der Beifall dröhnt mir in den Ohren. Oder ist es das Rauschen meines Blutes? Ich habe nur einen einzigen Gedanken: Bergerson, Bergerson! Weshalb ausgerechnet er, der amerikanischste Amerikaner, der Kommunistenhasser Peer Bergerson? Es ist unbegreiflich.
»Dieses Schwein!« murmelt die Stimme des Commanders in meinen Kopfhörern. »Dieses verdammte Schwein! Weshalb, frage ich mich, hat er das getan? Weshalb gibt es unter uns Leute, die sich auf die Seite dieser…, dieser…, der… da drüben stellen? Weshalb? Sehen denn diese Narren nicht…?«
Seine Worte brechen mit einem leisen Knacken ab. Er hat sich aus dem Bordnetz geschaltet, verärgert vielleicht über die eigene, einen Teil seines Innersten bloßlegende Bemerkung und voller Zorn auf eine Welt, die dabei ist, sich andere Ideale zu schaffen, als er sie vertritt.
Am späten Vormittag des folgenden Tages gehen mehrere Meldungen ein, wonach in fast allen Ländern der Erde spontan Demonstrationen begonnen haben. Millionen von Menschen sollen, ohne sich miteinander verabredet zu haben, auf die Straße gegangen sein.
Und während sich die meisten dieser Kundgebungen pauschal gegen die Virentests der Space Force richten, soll sich in den USA selbst zum erstenmal die Forderung nach dem unverzüglichen Rücktritt der Administration erhoben haben.
Gegen Mittag gibt der Präsident über Television eine Erklärung vor beiden Häusern ab. Die Darlegungen offenbaren eine seiner Achillesfersen. Offenbar sei er sehr mangelhaft über die Vorgänge an Bord der Versuchsstation Odin unterrichtet worden, ja, er halte es sogar für möglich, daß man ihn belogen habe. Man werde die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, denn spaßen lasse er mit sich nicht.
Die Abendnachrichten der Agentur Reuter melden den Abbruch der diplomatischen Beziehungen seitens Indiens, der Volksrepublik China und des Irans zu den Vereinigten Staaten. Im anschließenden Kommentar wird von Führungsschwäche gesprochen, die sich nur mühsam hinter großen Worten verberge.
In dieser Nacht läßt sich Commander Morris nicht in der Zentrale sehen.
Ich weiß, daß auch er den Führungsstil seines Präsidenten nicht uneingeschränkt positiv bewertet, daß es aber ausgerechnet eine englische Agentur ist, die einer solchen Kritik Ausdruck verleiht, muß ihn als loyal denkenden Amerikaner zutiefst verletzen.
Der Hilfsshuttle läßt auf sich warten. Die Tage vergehen, und an Bord der Station herrscht Schwerelosigkeit. Solche Tage können zur Tortur werden.
Dabei wirkt das Fehlen der künstlichen Gravitation höchstens als Katalysator, die eigentliche Belastung liegt nicht im körperlichen, ja nicht einmal im materiellen Bereich, Schwerelosigkeit läßt sich ertragen, wie sich auch Hunger ertragen läßt, viele Tage lang, wenn es sein muß. Und da liegt das eigentliche Kriterium. Es müßte akzeptable Gründe geben. Wenn du siehst, daß die Supermärkte überquellen von allen nur möglichen Delikatessen, dann fällt es dir schwer, dich mit Nahrungsabstinenz abzufinden.
Auf Cape Canaveral, auf
Weitere Kostenlose Bücher