Lautlos im Orbit (1988)
neugewonnenen Identitätsgefühl des Durchschnittsbürgers entgegen. Der Chile-Schock wurde verwunden und das Nikaragua-Syndrom ausgeheilt, nachdem Presse und Funk die Visionen der Industriellen und Militärs von der wiedererlangten Stärke und der Weltmacht mit Ordnungspflicht übernommen und verfeinert hatten. Jahrzehnte hatte es gedauert, ehe der Durchbruch erzielt worden war, aber dann erwies sich die Kampagne, wie ihre Befürworter einschätzten, als eine Meisterleistung angewandter Psychologie und Demagogie. Das Land, so hatte der Präsident erklärt, sei immer nur so stark wie das Selbstbewußtsein seiner Bürger, das also gelte es drastisch zu heben. Und so wurden Überlebenswille und persönlicher Mut als die wichtigsten und wertvollsten Eigenschaften des modernen Mannes propagiert und damit zu staatstragenden Eigenschaften.
Daß dadurch all jene, die diesem Ideal nicht entsprachen oder nicht entsprechen wollten, an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, kümmerte weder die neuen Helden noch deren Erfinder. Es war eine Gesellschaft, die Frauen zu Spielzeugen, Schwache zu Schmarotzern und Individualisten zu Schädlingen stempelte.
Wer sich für »normal« und damit für berechtigt hielt, auf alle, die anders waren, hinabzusehen, in dessen Bewußtsein gab es bald nichts und niemanden mehr, dem er sich nicht gewachsen gefühlt hätte, und demzufolge existierte kein Land, das dem eigenen in irgendeiner Hinsicht das Wasser hätte reichen können.
Dieses Bewußtsein einer neuen, besseren Identität, des Unangreifbaren, Auserwählten, entwickelte mit der Zeit mythische Züge, die in allen Lebensbereichen, unter anderem auch in der Kunst Einfluß gewannen. Die Helden kehrten zurück. Nicht unbedingt jene, denen man die Eroberung des Kontinents verdankte, doch ihnen sehr ähnliche, kaum verfeinert zwar, aber nach außen hin ein wenig modifiziert infolge ihrer modernen Ausrüstung und Bildung. Nach den haarigen, drogenverseuchten Antihelden nun also endlich wieder die harten, unerschrockenen Männer. Stuntmen, Superdetektive, Agenten, Magnaten und Weltraumkämpen erlebten eine Hochkonjunktur ohnegleichen. Man begegnete ihnen allenthalben, in Magazinen und Televisionssendungen, sie sprachen zur Nation und kämpften in den Stadien, sie lächelten zweidimensional von den Reklamewänden und plastisch aus den Schaufenstern von Textilgeschäften und in den Auslagen der Supermärkte. Und schließlich traf man sie auch auf den Straßen, vereinzelt erst und von Dutzenden bestaunt, dann zu Dutzenden und von Tausenden bewundert, und wenig später zu Tausenden, die sich für absolut normal hielten. Die wenigen Außenseiter, die sich, gestern noch bunt und voller Aggressionen, nun als dunkel gekleidete, stille Warner gebärdeten, zählten nicht mehr. Die Nation konnte sich als gerettet betrachten.
Lieutenant Philipp McBruns trug Zivil, als der Hubschrauber auf dem Flughafen Hennings landete. Die in Montgomery in einem Uniform- und Waffenstore gekaufte nagelneue Montur befand sich in seinem Köfferchen.
Der Jeep rollte so dicht an den Helikopter heran, daß Phil direkt von der mittleren Stufe der Gangway auf den Beifahrersitz steigen konnte. Der Fahrer, ein junger, milchgesichtiger Sergeant, setzte das Fahrzeug zurück, wendete und jagte mit einem solchen Tempo auf der Piste nach Süden, daß die Gebäude der Basis, der Kontrollturm und die überall herumstehenden Maschinen hinter einer dicken gelben Staubwolke verschwanden. Am Ende der Rollbahn wich er zwei warmlaufenden Lightning-Beams mit einer bei voller Geschwindigkeit gefahrenen S-Kurve aus, wobei die grobstolligen Reifen wimmernd über den Asphalt radierten.
»Besser so!« bemerkte er nach dem gelungenen Manöver träge. »Sonst hätten sie uns womöglich noch den Lack vom Blech gebrannt.«
Gleich darauf betätigte er den Schließmechanismus des Faltverdecks, und nachdem sich die Lamellen vor den morgendlich blauen Himmel geschoben hatten, versah er auch diesen Vorgang mit einem entsprechenden Kommentar. »Sicherheit zuerst!« erklärte er ebenso knapp wie vieldeutig.
Philipp antwortete nicht. Er hatte vollauf damit zu tun, sich auf dem Sitz zu halten.
Noch vor Hollywood verließen sie die achtspurige Küstenstraße. Als die Hochhäuser Miamis wie ein finster dräuendes Felsmassiv über den Frühdunst am Horizont zu steigen begannen, tauchten sie nach einer weiten Rechtskurve in die Zypressenwälder westlich der Hauptstadt Floridas ein. Der Sergeant atmete
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