Lautlose Jagd
werden könnte, aber die große umgebaute Boeing 707, die vor dem Leitwerk eine riesige Antennenverkleidung mit zehn Meter Durchmesser trug, die auf hohen Stützen montiert war, wäre vor allem tagsüber ein leichtes Ziel gewesen.
Für den Einsatz der E-3C gab es noch einen weiteren Grund: die einzigartige Gelegenheit, das Airborne Warning and Control System (AWACS) unter Atomkriegsbedingungen zu testen. Dies war das erste Mal, dass eine E-3C sich in der Luft befand, während Nuklearsprengköpfe eingesetzt wurden, und die Techniker und Ingenieure waren gespannt, wie ihr leistungsfähiges Radar APY-1 unter diesen Bedingungen arbeiten würde. Natürlich war das alles schon durch Computersimulationen und Versuche im EMC-Labor auf der Kirtland Air Force Base in New Mexico untersucht worden, aber dies war der erste Test unter realen Bedingungen.
Der Versuch klappte bisher recht gut, sogar so gut, dass ein Radaroperator an Bord der Guardian über 150 Meilen Entfernung zwei Flugzeuge beobachten konnte, die auf dem nordkoreanischen Stützpunkt Sohung - etwa 30 Meilen südöstlich von Pjöngjang - starteten.
Der Radaroperator kennzeichnete die Flugziele mit einem »U«
und einer Raute, was »unidentifiziert, vermutlich feindlich« bedeutete. »Radar hat Banditen im Sektor drei, Kurs eins-neun-null, Steigflug durch elftausend, Geschwindigkeit vier-zwanzig«, meldete er über die Bordsprechanlage.
»Sektor drei verstanden«, bestätigte der Sector Intercept Officer (SIO). »Ich habe negative Codes und Modi. ESM, klar zur Identifizierung. Achtung, Crew, Sektor drei hat zwei, wiederhole zwei, Banditen auf Abfangkurs. Charlie?«
»Hier Charlie, ich habe die Banditen«, sagte der Chefcontroller, dessen Rufzeichen »Charlie« lautete. »ESM brauchen wir nicht - wir stufen sie gleich als feindliche Jäger ein. Crew, klar zu Ausweichmanövern. Radar, Technik, Rotor stilllegen. Crew, wir verdunkeln alles. Pilot, Rechtskurve, Kurs eins-zwo-null, möglichst tief runter.« Die Radaroperatoren und -techniker schalteten das Radar APY-1 und alle übrigen Emissionsquellen ab, während die Piloten in einer Rechtskurve steil tiefer gingen, um zu versuchen, von den anfliegenden Jägern wegzukommen.
»Crew, hier Echo, ich habe unsere Banditen«, berichtete der Electronic Support Measures Officer (ESM), der das Rufzeichen »Echo« hatte. Das ESM war ein passives Überwachungs- und Reservesystem, mit dem die E-3C nicht nur Flugzeuge und Schiffe entdecken, sondern auch durch ihre Emissionen identifizieren konnte. Allerdings war das kein perfektes System - sendete der feindliche Jäger nichts, war das AWACS-Flugzeug völlig blind.
»Ich erkenne ein russisches Radar. Sieht nach nordkoreanischen MiG-29 aus, Entfernung achtzig Meilen, rasch abnehmend.«
Nordkorea besaß nur zwei Jagdstaffeln mit nicht einmal 30 MiG-29 Fulcrum aus sowjetischer Produktion, die jedoch zu den kämpfstärksten und wendigsten Jägern der Welt gehörten. Die typische Bewaffnung dieser Abfangjäger bestand aus zwei radargesteuerten Lenkwaffen R-27, vier Jagdraketen R-60 mit IR-Suchkopf und 150 Schuss für ihre großkalibrige 3o-mm-Maschinenkanone.
Der Chefcontroller meldete sich auf der Wachfrequenz mit einem Notruf: »Mayday, Mayday, Mayday, hier Guardian Three-One, fünfundsechzig Meilen südwestlich VOR Seoul, werden von nordkoreanischen Jägern angegriffen. Bitten um jegliche Unterstützung. Bitte melden!«
Aber er wusste, dass es zwecklos war, über Funk Hilfe anzufordern. Bei der Kernexplosion, die Suwon vernichtet hatte, war eine Welle hoch geladener Teilchen - der so genannte elektromagnetische Impuls (EMI) - Hunderte von Meilen weit nach allen Richtungen ausgestrahlt worden und hatte die Atmosphäre in eine Masse aus willkürlich durcheinander schwirrenden elektrischen Funken verwandelt. Selbst wenn jemand die Wachfrequenz abhörte, würde er nur statische Störungen empfangen. Der EMI im Augenblick der Explosion war so stark, dass er elektronische Geräte im Umkreis von vielen Meilen außer Betrieb setzte. Seine Auswirkungen auf die Atmosphäre konnten viele Stunden, sogar einige Tage lang anhalten.
»Sechs Uhr, sechzig Meilen«, meldete der ESM-Offizier. »In knapp zwei Minuten ist er in Alamo-Reichweite.« Die maximale Reichweite der russischen R-27 mit der NATO-Bezeichnung »Alamo« betrug etwa 40 Meilen. Dem Chefcontroller war bewusst, dass dies vermutlich der Countdown zu ihrem Tod war - weil im Augenblick keine eigenen Jäger in der Nähe waren. Um
Weitere Kostenlose Bücher