Lautlose Jagd
wünsche Ihnen noch einen guten Tag, Sir.« Im nächsten Augenblick wurde die Verbindung unterbrochen.
Martindale war körperlich und emotional erschöpft, als er sich in seinen Sessel zurücksinken ließ. Er schüttelte den Kopf und rieb sich die Schläfen. »Sie haben Recht, Ellen«, sagte er zu der Vizepräsidentin und den anderen. »Die Koreaner denken gar nicht daran, die Waffen abzuliefern. Kwon betrachtet sie als bestes Mittel zur Abwehr einer weiteren chinesischen Invasion. Aber er ist verrückt, wenn er glaubt, damit die Chinesen aufhalten zu können.«
»Kwon ist nicht verrückt, durchaus nicht«, widersprach Vizepräsidentin Whiting ernsthaft. »Er benimmt sich wie ein Schachgroßmeister, der er meines Wissens auch tatsächlich ist: Er sieht sechs Züge voraus und ist durch nichts von seinem Spielplan abzubringen. Er hat unendlich viel Geduld und verfolgt ein einziges, klar definiertes Ziel - den Auf- und Ausbau der Vereinigten Republik Korea. Glaubt er, dass Hunderte von Massenvernichtungswaffen ihm dabei nützlich sein können, behält er sie.«
»Ich verstehe seine Argumentation recht gut«, sagte General Freeman. »Präsident Kwon weiß, dass China jederzeit einmarschieren und Korea besetzen kann. Der Besitz von Massenvernichtungswaffen - und von Trägersystemen, die selbst Peking erreichen können - dürfte das einzige Abschreckungsmittel gegenüber China sein.«
»Aber wenn die Chinesen dort hätten einmarschieren wollen, hätten sie es doch längst tun können.«
»Nicht mit amerikanischen Streitkräften im Land«, stellte Freeman fest. »Gewiss, unsere Truppen hätten lediglich als Stolperdraht füngieren können, aber sie waren ein wirkungsvoller Stolperdraht.
Unsere nur vierzigtausend Mann starken Stationierungskräfte haben über vierzig Jahre lang Hunderttausende von chinesischen Soldaten am Angriff gehindert - natürlich mit unserer Atommacht hinter sich. Eine wirkliche Bedrohung für uns waren die Chinesen nur einmal, als wir begonnen haben, unsere strategischen Kräfte so weit zu verringern, dass China glaubte, amerikanischen Vergeltungsschlägen trotzen zu können. Damals hat es prompt versucht, Taiwan zu erobern, und wir mussten gewaltig viel Feuerkraft aufwenden, um es zum Rückzug zu zwingen.«
»Und was passiert jetzt in Korea?«
»Dasselbe alte Spiel, fürchte ich - nur hat China diesmal vielleicht die Welt auf seiner Seite«, antwortete Freeman. »Sie haben völlig recht, Sir: Behalten die Koreaner diese Waffen, gelten sie als die Provokateure, vielleicht sogar als die Aggressoren. Das wäre so, als käme Cuba plötzlich in den Besitz zahlreicher Massenvernichtungswaffen und verlangte von uns, diese Tatsache zu ignorieren - dann würde die Weltöffentlichkeit Cuba verurteilen.
China kann behaupten, das koreanische Arsenal sei ein destabilisierendes Element. Die Welt wird nicht nur darüber entsetzt sein, dass Nordkorea so viele Atomwaffen wie sonst kein Staat außer den Supermächten besessen hat, sondern vor allem auch darüber, dass diese Waffen jetzt in den Besitz der Vereinigten Republik Korea übergegangen sind. China muss auf diese Entwicklung reagieren.«
»Wie?«
»Es könnte seine Truppen an der Grenze und in den grenznahen Gebieten verstärken und zusätzliche Raketen und Geschütze gegen Korea in Stellung bringen - alles ganz friedlich, auf seiner Seite der Grenze und leicht zu rechtfertigen«, sagte der Sicherheitsberater. »Das könnte monate- oder sogar jahrelang weitergehen. Die Welt würde für unbestimmbare Zeit am Abgrund entlangtaumeln, selbst wenn ständig mühsame Verhandlungen geführt würden. Und noch schlimmer: Jeder kleinste Zwischenfall - ein Unfall, ein Irrtum, ein Scharmützel - könnte augenblicklich eine Katastrophe auslösen. Die chinesischen Interkontinentalraketen haben wir 1997 während des Taiwankonflikts zerstört, aber das Arsenal Chinas an Kurz- und Mittelstreckenraketen haben wir kaum angekratzt. Es ist größtenteils intakt und unvermindert schlagkräftig.«
»Und Korea hat längst nicht mehr alle Fla-Lenkwaffen Patriot, die es noch vor einem Monat hatte«, warf Ellen Whiting ein. »Die meisten dieser Systeme haben wir beim Abzug unserer Truppen mitgenommen, nicht wahr?«
»Ja. Weniger als ein Drittel unserer dreißig Patriot-Batterien sind noch drüben«, bestätigte Freeman. »Jede Batterie hat drei Abschussvorrichtungen, ein Radar und sechs Nachladebehälter. Das sind ungefähr vierzig Schüsse gegen Flugzeuge - die Patriot wird
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