Lautlose Jagd
aufzuhetzen.
Wie sollte man sonst die im Norden noch vorhandenen Widerstandsnester erklären? Wie sollte man sonst die Exilregierung in Peking erklären? Zum Glück hatten der Ruhmreiche Führer Kim Jong-il und die meisten Mitglieder des Politbüros sich nach Peking absetzen können, um den Widerstand zu organisieren.
Der Hauptmann marschierte durch den eisigen Regen zu der Nodong-Einheit und seinem Gehilfen Leutnant Kim Jong-ku zurück. Kim hatte eine andere Raketeneinheit befehligt, aber da alle seine Männer nach dem Abschuss ihrer letzten Rakete desertiert waren, hatte er sich Kong angeschlossen - was ein glücklicher Zufall war, weil auch Kongs Männer nach dem Abschuss der ersten Rakete desertiert waren. Ständig auf der Flucht zu sein, war mehr als sie ertragen konnten, zumal es immer schwieriger wurde, Verpflegung zu beschaffen oder zivile Sympathisanten zu finden, die bereit waren, ihnen zu helfen. Die Gehirnwäsche der nordkoreanischen Bevölkerung war nahezu abgeschlossen, hatte Hauptmann Kong festgestellt. Die einfachen Leute glaubten fast alles, wenn jemand ihnen den Bauch füllte und sie mit Propaganda überschüttete.
Der größte Teil von Kongs Nodong-1-Einheit stand in einem Lokschuppen in Deckung, aber sie hatten sich die Zeit genommen, ihn zusätzlich zu tarnen. Die fahrbare Abschussrampe mit der Rakete war mit Balken und Wellblech bedeckt, als sei ein Teil des Schuppens über ihr zusammengebrochen; rings um die Diesellok waren weitere Trümmer aufgehäuft, die den Eindruck erweckten, sie könne nicht mehr wegfahren. Kim erwartete den Hauptmann im Kommandowagen. Da der Dieselmotor der Lok jetzt nicht lief, um Treibstoff zu sparen und die Gefahr einer Entdeckung zu minimieren, war der Kommandowagen, der ein eigenes Notstromaggregat hatte, der behaglichste Aufenthaltsort im gesamten Zug.
Und falls ihre Gefangennahme drohte, ließ die Rakete sich von dort aus leicht und rasch unbrauchbar machen.
»Wie sieht's am Startpunkt aus, Hauptmann?«, fragte Kim, nachdem er seinen Kommandeur auf ein vereinbartes Klopfzeichen hin eingelassen hatte.
»Schlimm, ganz schlimm«, sagte Kong schulterzuckend. »Die Einrichtungen sind gesprengt. Völlig unbrauchbar.« Er schüttelte seinen nassen Poncho aus. »Irgendwelche Meldungen von unseren anderen Einheiten?«
»Einheit zwanzig meldet Startbereitschaft - das war der einzige Kontakt, Hauptmann. Übers Befehlsnetz ist eine Propagandasendung mit der Aufforderung gekommen, uns zu ergeben. Wir sind namentlich angesprochen worden.«
»Namentlich?«
»Mit Namen, Dienstgrad und Einheitsnummer«, bestätigte Kim. »Sie haben sogar gewusst, dass Sie mich zum Leutnant befördert haben.«
»Diese Schweine!«, rief Kong zornig. »Feige, rückgratlose Verräter!« Einige der Männer, die aus ihrer Einheit desertiert waren, mussten bei Verhören durch Nachrichtenoffiziere der Kapitalisten ausgepackt haben. Damit hatten sie sich als Abschaum der Menschheit entlarvt - sie waren nicht nur Feiglinge und Verräter, sondern nun auch Informanten im Sold der Kapitalisten. »Haben sie irgendetwas gesagt, aus dem hervorgeht, dass sie wissen, wo wir sind oder wohin wir wollen?«
»Nein, Hauptmann«, antwortete Kim. »Ihre Vorsichtsmaßnahme, die Feuerstellungen aller Einheiten geheim zu halten, hat sich offensichtlich gut bewährt.« Er schien stolz auf Kong, aber auch sehr besorgt zu sein. »Was machen wir jetzt, Hauptmann?«
»Wir schießen unsere Rakete planmäßig ab, Leutnant«, sagte Kong resolut. »Ursprünglich wollte ich hier bleiben, unsere Koordinaten mit dem GPS bestimmen und die Nodong starten. Dieses Versteck ist gut, und unsere Rakete ist einsatzbereit. Aber dies ist vielleicht unsere letzte Chance, einen Schlag gegen die Kapitalisten zu führen. Unser zugewiesenes Ziel ist ein unterirdischer Befehlskomplex, den wir nur mit einem Volltreffer ausschalten können - eine Abweichung von nur einem Kilometer wäre schon ein Misserfolg.« Kong stellte eine Überschlagsrechnung an: »Unser Ziel liegt über siebenhundert Kilometer entfernt. Nehmen wir an, dass der errechnete Kurs einen Fehler von nur einem Grad enthält, bedeutet jeder Fehler von einem Meter bei der Ermittlung der Startkoordinaten, dass die Rakete ihr Ziel um siebzig Meter verfehlt - auch wenn die Kurskreisel einwandfrei arbeiten. Das sind zu viele Variable. Das ist viel zu ungenau.
Präzise treffen können wir nur, wenn wir zu einem Punkt in unmittelbar Nähe der Feuerstellung marschieren. Dort können
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