Lautlose Jagd
Chagang Do genehmigt?«
Chi Haotian lächelte. Das Forschungszentrum Kanggye hatte zu den geheimsten Waffenschmieden des ehemaligen Nordkoreas gehört. Nur 30 Kilometer von der chinesischen Grenze entfernt hatte dort ursprünglich ein kurz nach dem Ende des Koreakriegs erbauter russische Kernreaktor vom Unglückstyp Tschernobyl in der Ukraine gestanden. Das Kernkraftwerk erzeugte etwas Strom für Nordkorea und die Mandschurei, aber sein Hauptprodukt war waffenfähiges Plutonium. Das AKW war in Nordkorea errichtet worden, damit die Mandschurei von sowjetischer Kerntechnik profitieren konnte, während der gefährliche Reaktor in Nordkorea stand. Nach dem Bruch zwischen China und der UdSSR übernahmen chinesische Ingenieure mit Unterstützung von iranischen und pakistanischen Atomwissenschaftlern den Weiterbetrieb von Kanggye.
Danach dauerte es nicht mehr lange, bis der größte Teil der Provinz Chagang Do zur Entwicklung, Erprobung und dem Bau neuer Waffen diente. Chagang Do war die zweitgrößte Provinz des ehemaligen Nordkoreas und die am dünnsten besiedelte. Wie der Bundesstaat Nevada in den USA oder die Provinz Xinjiang in der VR China war das nur gering bevölkerte Land groß und unwirtlich genug, um Platz für zahlreiche geheime Einrichtungen zu bieten. Ungefähr zwei Dutzend Forschungszentren, Testgelände, Produktionsstätten und atomare Endlager machten die Provinz Chagang Do praktisch unbewohnbar und nur für das Militär nutzbar - und zu einem begehrenswerten Ziel für jede Macht, die wertvolle Informationen über ABC-Waffen erbeuten wollte.
Kanggye wurde zu einer der wichtigsten Produktionsstätten Asiens für waffenfähiges Plutonium ausgebaut. Die erweiterte Anlage produzierte Kernwaffen von dem massiven Gefechtskopf WX120 mit drei Megatonnen Sprengkraft bis hinunter zur Kernwaffe W18 mit zehn Kilotonnen Sprengkraft, die in eine Artilleriegranate passte. In Kanggye waren schon Dutzende von Waffen gebaut und in alle Welt exportiert worden. Brasilien, Südafrika, Indonesien und Pakistan gehörten zu den Staaten, die Kernwaffen oder Waffenkomponenten aus der nordkoreanischen Waffenschmiede Kanggye besaßen.
»Natürlich«, sagte Verteidigungsminister Chi. »Nicht nur die Forschungsstätte, sondern wir nehmen auch die Herstellungsbetriebe, sämtliche Labors, die Zwischenlager, die Erprobungseinrichtungen und die Abschussrampen ein; außerdem vertreiben wir die Kapitalisten aus allen ihren Militärstützpunkten. Und wir müssen Chagang Do natürlich besetzen, damit die Kapitalisten dort nicht wieder Massenvernichtungswaffen bauen können - dazu brauchen wir Truppen, mindestens drei Brigaden, denke ich, für eine Provinz dieser Größe und mit dieser Bodengestalt. Wir müssen ausreichend Luftunterstützung, verstärkte Luftabwehr und lückenlose Radarüberwachung bereitstellen und nicht zuletzt die Versorgung unserer Friedenstruppe organisieren.
Entwickelt sich die Provinz Chagang Do dann auf natürliche Weise zum Zentrum der in Korea entstehenden antikapitalistischen Gruppen... nun, das gehört zu den Heimsuchungen, die jede Regierung ertragen muss, glaube ich«, fügte Chi lächelnd hinzu. »Schließlich war angesichts eines auf diese Weise durchgepeitschten politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Wechsels zu erwarten, dass sich eine Vielzahl von teils bewaffneten Oppositionsgruppen bilden würde. Wer weiß? Vielleicht bricht eines Tages eine ausreichend starke, ausreichend bewaffnete Gruppe aus den Wüsten von Chagang Do zur Eroberung der Halbinsel auf. Vielleicht wird sie von Präsident Kim Jong-il, vielleicht von einem Mann mit etwas mehr Rückgrat geführt.«
Der Blick des Verteidigungsministers war eiskalt, als er sich jetzt am Konferenztisch umsah. »Das ist der Plan, den ich will, Genossen. Ich verlange, dass er vor dem Mittagessen so ausgearbeitet auf meinem Schreibtisch liegt, dass ich ihn dem Präsidenten und dem Politbüro vorlegen kann. Denken Sie daran, dass die Kapitalisten Tausende unserer Kameraden feige ermordet haben, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun müssen, um dieser Krebswucherung an unserer Grenze Einhalt zu gebieten, bevor noch mehr unserer Kameraden den Tod finden.«
Im Süden der Provinz Chagang Do,
Vereinigte Republik Korea
(ehemals Nordkorea)
(zwei Nächte später)
Der einzelne Soldat marschierte rasch, aber vorsichtig das Bahngleis entlang. Das Wetter war seit Tagen nicht mehr so schlecht gewesen: eisiger Regen von vorn und orkanartiger Sturm. Bei
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