Lautlose Jagd
»Achttausendvierundvierzig Verwundete, zweihunderteinundneunzig Vermisste.«
»Und jeder Tod sollte zehnfach vergolten werden, Genosse Minister!«, warf General Chin Zi-hong, Chef des Generalstabs der Volksbefreiungsarmee, zornig ein. »Das war ein feiger, heimtückischer Angriff, der schändlichste Überfall, den ich je erlebt habe!«
»Präsident Jiang hat öffentlich verkündet, dass wir nie mehr Massenvernichtungswaffen einsetzen werden - außer wir werden mit solchen Waffen angegriffen«, stellte Verteidigungsminister Chi fest. »Wegen unserer Angriffe auf Taiwan und Guam bleiben wir zweifellos noch eine Generation lang in aller Welt geächtet, und wir wollen diesen Zustand um keinen einzigen Tag verlängern.«
»Sind wir jetzt etwa der Prügelknabe der gesamten Welt?«, rief Chin erregt. »Stellen wir uns einfach tot, während um uns herum ein Staat nach dem anderen mit Massenvernichtungswaffen aufrüstet und sie gegen uns einsetzt, ohne dazu provoziert worden zu sein?«
»Beruhigen Sie sich, Genosse General«, forderte der Verteidigungsminister ihn auf. »Ich stelle nur fest, dass der Präsident uns davor gewarnt hat, ihm oder dem Politbüro einen Plan vorzulegen, der einen Erstschlag mit ABC-Waffen vorsieht, ohne dass wir mit solchen Waffen angegriffen worden wären. Ich weiß, dass Sie für den Fall, dass die Vereinigten Staaten, Taiwan, Japan oder Korea uns mit solchen Waffen angreifen, Notfallpläne in der Schublade liegen haben. Aber selbst als Antwort auf diesen hinterlistigen Überfall wird der Präsident keinen Plan genehmigen, der den Einsatz von Kernwaffen vorsieht. Also, Genosse General: Sagen Sie mir, wie unsere Reaktion auf diese Tragödie aussehen sollte.«
General Chin atmete tief durch, überlegte kurz und sagte dann:
»Die größten Sorgen, Genosse Minister, machen uns die ABC-Waffen der Koreaner.« Chi nickte ihm ungeduldig zu, er solle fortfahren. »Wir wissen, wo die wichtigsten Stützpunkte in Nordkorea liegen, und können sehr genau abschätzen, wo sie im Süden liegen - dort haben nur wenige Stützpunkte, hauptsächlich ehemalige US-Stützpunkte, die nötigen Einrichtungen für die Lagerung solcher Waffen. Deshalb...«
»Auch ein Einmarsch im Süden wird nicht genehmigt, Genosse General«, unterbrach Chi ihn. »Obwohl der Präsident und das Politbüro hinter Präsident Kim Jong-il stehen, werden sie keinen Vorstoß in das Gebiet südlich des achtunddreißigsten Breitengrads genehmigen. Das würde unsere Verurteilung durch die Weltöffentlichkeit und das Eingreifen der Vereinigten Staaten provozieren.«
Der Generalstabschef schüttelte irritiert den Kopf. Chi funkelte ihn an. »Sie müssen begreifen, Genosse General, dass die Welt an dem wieder vereinigten Korea einen Narren gefressen hat. Das ist ein sehr, sehr starker Impuls. China bemüht sich, wieder seinen rechtmäßigen Platz als eine Weltmacht einzunehmen. So sehr wir auch der Überzeugung sind, dass der Sturz der kommunistischen Regierung in Nordkorea eine Katastrophe für das Volk und unsere Ideale war, müssen wir ihn akzeptieren, weil die Welt ihn freudig begrüßt hat. Die halbe Welt glaubt sogar, der Raketenangriff auf unsere Grenztruppen sei gerechtfertigt gewesen - und die andere Hälfte hält ihn zwar für falsch, aber trotzdem verständlich und entschuldbar. Daher wäre ein einfacher Gegenschlag nicht wirkungsvoll genug.
Nein. Wir brauchen einen Plan für einen Angriff, der das trifft, was an der Vereinigten Republik Korea unrecht ist. Sagen Sie mir: Was ist an Korea unrecht?«
»Natürlich seine Kernwaffen.«
»Natürlich«, bestätigte Minister Chi. »Die Welt liebt Korea, weil es sich die Wiedervereinigung erkämpft hat, aber sie hasst es auch, weil es die erbeuteten Kernwaffen nicht abgeliefert hat. Deshalb können wir Korea seine Atomwaffen wegnehmen, ohne zu riskieren, dafür von der Welt verurteilt zu werden, nicht wahr?«
Überall am Konferenztisch wurde zustimmend genickt. »Wir haben bereits festgestellt, dass wir unmöglich alle erbeuten können, aber was lässt sich leicht wegnehmen?«
»Kanggye«, sagte der Generalstabschef.
»Nicht nur Kanggye«, stellte Chi zufrieden lächelnd fest. »Vielleicht noch vor zehn Jahren - bevor wir das nordkoreanische Raketenbauprogramm hochgefahren haben. Aber heutzutage? Heute dürfen Sie an Größeres denken.«
»Sie meinen die ganze Provinz?«, fragte Chin aufgeregt. »Glauben Sie, dass der Präsident ein Unternehmen zur Eroberung der gesamten Provinz
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