Lautlose Jagd
meinem behaglichen Arbeitszimmer oder irgendeinem Geheimbunker zu sitzen, die Hände zu ringen und auf Frieden zu hoffen. Auf meinen Befehl werden zwölf ballistische Raketen Scud B und sechs Nodong 1 zum Einsatz gegen die feindlichen Brigaden in Chagang Do und in der chinesischen Provinz Jilin startklar gemacht. Weitere Ziele sind die Flugplätze Dandong, Fushun und Shenjang, der Panzerstützpunkt Linjiang und die Kriegshäfen Luda und Qingdao. Außerdem habe ich zwei Raketen Nodong-2 fürs Kommandozentrum der Volksbefreiungsarmee bestimmt...«
»Peking?«, fragte Kwon entsetzt. »Sie... Sie wollen Peking mit Atomwaffen angreifen?«
»Ich weiß, dass Ihnen das als drastisches, kaum vorstellbares Mittel erscheinen muss«, sagte Kim erstaunlich ruhig. »Aber wenn wir die geringste Hoffnung haben wollen, die chinesische Dampfwalze daran zu hindern, Korea zu überrollen, müssen wir jetzt handeln. Ich brauche Ihre Ausführungscodes, Herr Präsident, und ich brauche sie sofort. Sie müssen sie mir am Telefon vorlesen - wenn Sie wollen, kann ich Ihnen gleich jemanden schicken, der Ihnen behilflich ist, die Codes zu aktualisieren. Der hiesige Erste Controller schreibt sie mit und überprüft sie anschließend. Sobald sie mit meinen Codes kombiniert sind, kann der Angriff beginnen.«
»Meine Codes bekommen Sie niemals, Kim!«, protestierte Kwon. »Glauben Sie wirklich, ich würde einen Angriff genehmigen, der Millionen und Abermillionen Opfer fordern kann? Sie sind wahnsinnig! Ich befehle Ihnen, das Kommandozentrum augenblicklich zu verlassen, sonst lasse ich Sie verhaften! Ich enthebe Sie Ihres Amts!«
»Das können Sie nicht!«
»Ich hab es bereits getan«, stellte Kwon fest. »Sie sind nicht mehr Verteidigungsminister. Ich lasse das Dekret sofort ausfertigen.« Damit legte er auf.
Kim Kun-mo war leicht schwindlig, als er den Hörer auflegte.
Dieser Hundesohn, dachte er wütend, hat mich rausgeschmissen!
Wir befinden uns mitten im Krieg gegen das kommunistische China, und er schmeißt mich raus? »Das kann er nicht!«, brüllte Kim. »Das darf ich nicht zulassen!« Er griff nach dem Hörer des Telefons, das ihn mit dem Ersten Controller verband.
»Herr Minister?«
»Lassen Sie das Zentrum zur Verteidigung einrichten, General«, wies Kim ihn an. »Vollschutz gegen ABC-Waffen. Volle EMI-Schutzmaßnahmen. Kommunikation nur über das abgeschirmte analoge Befehlsnetz.«
»Zu Befehl«, sagte der Erste Controller knapp. »Schalte auf interne Stromversorgung um, lege digitale Kommunikation und Datenfernübertragung still.«
Wenige Sekunden später flackerten die Deckenleuchten und erloschen dann bis auf eine Hand voll Sicherheitsleuchten mit Batteriebetrieb. Gleichzeitig begann die Luft anders zu riechen - modrig, aber trocken wie in einem Sarkophag. Das Zentrum war jetzt völlig von der Außenwelt abgeschnitten und wurde mit wieder aufbereiteter Innenluft versorgt. Als Energiequelle dienten Akkusätze, die aufgeladen wurden, solange die externe Stromversorgung funktionierte; falls es draußen zu einer Kernwaffendetonation kam, würden sofort Notstromaggregate anspringen.
Kim stand von seinem Schreibtisch auf und sah ins Lage- und Kontrollzentrum hinunter, das jetzt mit nur noch wenigen beleuchteten Konsolen in fast völliger Dunkelheit lag. Die Aktivitäten waren jedoch keineswegs eingestellt. Techniker waren dabei, die Arbeitsplätze durch analoge Kommunikationsmittel - einfache Feldfernsprecher aus dem Koreakrieg - zu verbinden und die jetzt dunklen Großbildschirme durch altmodische Wandtafeln zu ersetzen. Falls in der Nähe eine Kernwaffe detonierte, verminderte die Umstellung von digitaler Breitbandkommunikation auf das speziell abgeschirmte analoge Befehlsnetz die Gefahr eines völligen Ausfalls aller Fernmeldeeinrichtungen...
... und isolierte das Zentrum von Präsident Kwon Ki-chae, zumindest für kurze Zeit. Die Frage war nun: Würde die Zeit reichen?
Vizepräsident Pak Chung-chu stürmte ins Büro des Präsidenten.
»Kein Mensch hat mich benachrichtigt!«, rief er atemlos. »General Kim und General An haben einen Gegenangriff versucht, der fehlgeschlagen ist, und jetzt stoßen die Chinesen ungehindert weiter nach Süden vor!«
»General Kim hat anscheinend den Verstand verloren«, behauptete Kwon erregt. »Er hat um meine Startcodes gebeten - nein, er hat sie gefordert -, damit er China mit ABC-Waffen angreifen kann. Als Ziele hat er bereits mehrere chinesische Städte festgelegt, darunter auch Peking!
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