Lautlose Jagd
rufen, als ein hoher Offizier das Gebäude betrat. Das passte zu der vorläufigen Beurteilung, die Patricks Stab abgegeben hatte - eindrucksvoll.
Patrick fand Oberstleutnant Rebecca Furness einige Minuten später in einem der Räume für Einsatzbesprechungen, in dem sie ein Flipchart mit Filzstiften in verschiedenen Farben beschrieb.
»Morgen, Oberstleutnant«, sagte er.
»General«, antwortete Furness. »Besprechung in fünfzehn Minuten. Kaffee gibt's im Kasino. Ich gebe Ihnen jemand mit, der Ihnen zeigt, wo Sie alles finden.«
»Danke, nicht nötig«, wehrte Patrick ab. Er ging zum »Kasino«
zurück, wie der Freizeitraum der Staffel hochtrabend hieß, fand einen Kaffeebecher für Gäste und goss sich einen Kaffee ein. Jesus, dachte Patrick, hier sind sogar die Kaffeebecher der Angehörigen der Staffel sauber - eine so makellos saubere Kaffeebar hatte er auf seinem alten B-52-Stützpunkt nie gesehen. Hier gab es auch Bier vom Fass, aber ein über die Zapfhähne gelegtes Geschirrtuch signalisierte, dass die Bar geschlossen war. Außerdem sah er mehrere Spielautomaten, ein paar Flipper und Videospiele - alle aus der Steckdose gezogen -, einen großen Automaten für Jalapeno-Popcorn und einen Billardtisch. Über der Bar hingen die an Freitagabenden getragenen Namensschilder der Staffelangehörigen, auf denen statt Vor- und Familienname nur das jeweilige Rufzeichen stand.
Wie auf allen Fernsehern, die Patrick bei der 111th Bomb Squadron gesehen hatte, lief auch hier CNN. Das große internationale Thema hieß wie schon seit einigen Wochen Nordkorea. Das Land, einer der letzten noch existierenden kommunistischen Staaten, hatte den vergangenen Winter nur mühsam überstanden. Hunderttausende seiner Bürger waren wegen des Mangels an Heizöl, Nahrungsmitteln und Medikamenten an Hunger, Krankheiten oder Unterkühlung gestorben. Es hatte einen weiteren erfolglosen Anschlag auf Präsident Kim Jongil gegeben; die Attentäter waren verhaftet, vor Gericht gestellt und öffentlich durch Erschießen hingerichtet worden - alles vor laufenden CNN-Kameras. Wenig später hatte Präsident Kim mehrere Offiziere wegen Hoch- und Landesverrats und Anstiftung zum Aufruhr hinrichten lassen. Unruhen wegen schlechter Versorgung mit Lebensmitteln waren an der Tagesordnung; alle wurden von den Sicherheitskräften hart, sogar brutal niedergeschlagen.
Gleichzeitig setzte Nordkorea jedoch seine massive Aufrüstung fort, die alle anderen Staaten Asiens übertraf. Die Nordkoreaner hatten eine weitere auf Gleisen stationierte ICBM des Typs Daepedong I erprobt, die erst nach 6500 Meilen in den Pazifik gestürzt war, und wollten sie innerhalb eines Jahres einsatzbereit haben.
Eine Weiterentwicklung dieser Rakete, die größere Daepedong 2, besaß angeblich eine Reichweite von über 9000 Meilen, womit sie Ziele auf dem amerikanischen Festland erreichen konnte. Sie verfügten über ebenfalls auf Gleisen stationierten ballistische Raketen Nodong 1 und Nodong 2 mit Kernsprengköpfen, die Ziele in ganz Japan, aber auch auf Okinawa treffen konnten. Sie besaßen Hunderte von Kurz- und Mittelstreckenraketen, von denen manche chemische oder biologische Waffen tragen konnten; auch einige ihrer über 9000 Geschütze konnten ABC-Granaten verschießen. Nordkorea, ein Land mit nur 24 Millionen Einwohnern, deren durchschnittliches Jahreseinkommen unter 900 Dollar lag, und schwindender Wirtschaftskraft, gab erstaunliche 30 Prozent seines Bruttosozialprodukts für Verteidigung aus.
Ebenso verwirrend war die Reaktion Südkoreas auf die massive Aufrüstung des Nordens. Statt selbst aufzurüsten oder die Vereinigten Staaten um zusätzliche Truppen zu bitten, baute die südkoreanische Regierung ihre Hilfs- und Zusammenführungsprogramme für den Norden noch aus, während sie andererseits die Verstärkung der amerikanischen Präsenz auf der Halbinsel blockierte. Die Vereinigten Staaten hatten weniger als 10000 Soldaten in Südkorea stationiert - fast keine Kampftruppen, sondern überwiegend Beobachter, Ausbilder und Berater. Im Vergleich zum Norden waren die Streitkräfte des Südens weit moderner, aber numerisch hoffnungslos in der Unterzahl. Während der südkoreanische Verteidigungshaushalt nur mühsam vor Kürzungen bewahrt werden konnte, wurden jedes Jahr rasch steigende Mittel für Wirtschaftshilfe, Lebensmittelspenden, Kulturaustausch und Familienzusammenführung mit Nordkorea bewilligt.
Gehört das zur Denkweise der Koreaner?, fragte Patrick sich, während
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