Lautloses Duell
Punktzahl für einen Einzelmord.
Er dachte über sein Social Engineering in der Schule nach. Es war ein gelungener Hack gewesen. Nicht ganz ungefährlich, aber sauber durchgezogen (auch wenn Onkel Irv sich offensichtlich nach den Aufnahmen für die letzten Führerscheinbilder den Schnurrbart abrasiert hatte).
»Meinst du, wir können auf dem Pony reiten, das Papa gekauft hat? Das ist so süß, echt. Billy Tomkins hat von dem blöden Hund erzählt, den er bekommen hat. Mann, wer hat denn
keinen
Hund? Jeder hat doch einen Hund! Aber
ich
hab ein Pony.«
Phate schielte zu dem Mädchen hinüber. Sah das perfekt geschnittene Haar, die teure Armbanduhr, deren Lederband sie mit unidentifizierbaren Tintezeichnungen verunstaltet hatte. Die Schuhe, die ihr jemand geputzt hatte. Der käsige Kinderatem.
Er kam zu dem Schluss, dass Sammie nicht wie Jamie Turner war, den er nur ungern töten würde, weil er ihn zu sehr an sich selbst erinnerte. Nein, dieses Kind war genau wie die kleinen Scheißer, die Jon Patrick Holloway damals in seiner Schulzeit das Leben zur Hölle gemacht hatten.
Schon allein aus Spaß würde er ein paar Bilder von der kleinen Samantha vor ihrem Aufenthalt im Keller machen – und dann ein paar von der kleinen Samantha hinterher.
»Willst du auf Charizard reiten, Onkel Irv?«
»Auf wem?«, fragte Phate.
»Auf meinem Pony, was dachtest du denn? Das Pferd, das mir Papa zum Geburtstag geschenkt hat. Du warst doch auch dabei.«
»Stimmt. Hab ich ganz vergessen.«
»Papa und ich gehen manchmal reiten. Charizard ist ziemlich cool. Er findet schon ganz allein den Weg in den Stall zurück. Du könntest ja Papas Pferd nehmen, und dann reiten wir zusammen einmal um den See. Falls du mithalten kannst.«
Phate fragte sich, ob er noch so lange warten konnte, bis er das Mädchen in seinem Keller in Los Altos hatte. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle zum Schweigen gebracht.
Plötzlich ertönte ein lautes Piepen, und während das Mädchen immer weiter von sich verwandelnden Hunden, Löwen oder was auch immer schwatzte, nahm Phate seinen Pager vom Gürtel und scrollte durch das Display.
Das, was er da las, ließ ihn hörbar nach Luft schnappen.
Die Nachricht von Shawn war recht ausführlich, ihre wichtigste Aussage bestand jedoch in der Information, dass Wyatt Gillette sich in der Zentrale der CCU aufhielt.
Phate verspürte einen Schlag, als hätte er eine Stromleitung angefasst. Er musste runter von der Straße und rechts ranfahren.
Großer Gott im Himmel … Gillette …Valleyman … auf der Seite der Bullen!
Deshalb
hatten sie so schnell so viel über ihn herausgefunden und waren ihm derart dicht auf den Fersen.
Sofort schossen ihm Hunderte von Erinnerungen aus den Tagen der Knight of Access durch den Kopf. Ihre unglaublichen Hacks. Die verrückten, stundenlangen Unterhaltungen, bei denen man so schnell es ging tippte, aus Angst, die Ideen könnten sich verflüchtigen. Die Paranoia. Die riskanten Aktionen. Die Zuversicht, Bereiche zu betreten, in die sich sonst niemand vorwagte.
Erst gestern hatte er über diesen Artikel nachgedacht, den Gillette damals geschrieben hatte. Einen Großteil davon hatte er in sein Notizheft abgeschrieben. Er erinnerte sich an den letzten Satz:
Wer einmal eine gewisse Zeit im Blauen Nichts verbracht hat, kann nie wieder ganz in die reale Welt zurückkehren.
Valleyman … dessen kindliche Neugier und verbissene Hartnäckigkeit ihm nicht eher Ruhe gelassen hatten, bis er alles, was es über etwas ihm völlig Neues zu verstehen gab, auch wirklich verstanden hatte.
Valleyman … dessen Genialität im Schreiben von Codes an seine eigene herankam und ihn gelegentlich sogar übertraf.
Valleyman … dessen Verrat Holloways Leben zerstört und das Große Social Engineering in Scherben gelegt hatte.
Valleyman … der nur noch deshalb am Leben war, weil Phate sich damals nicht dazu hatte entschließen können, ihn zu töten. Die Rache des Hackers, so hatte er den Knights of Access wiederholt gepredigt, hat einen langen Atem.
»Äh, Onkel Irv? Stimmt was nicht?«
Also war Gillette aus dem Gefängnis entlassen worden, um der Polizei dabei zu helfen, ihn, Phate, aufzuspüren und ihn daran zu hindern, seine Version von Access in der realen Welt zu spielen.
»Onkel Irv, warum halten wir hier an? Ist das Auto kaputt?«
Er sah das Mädchen an, spürte das Messer in der Tasche. Dann suchte sein Blick die verlassene Straße nach vorne und nach hinten ab.
»Tja, könnte gut sein,
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