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Lautloses Duell

Titel: Lautloses Duell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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hast. Er ist als Ingenieur für eine Ölfirma ständig im Ausland unterwegs, aber an den Festtagen kommt er immer nach Hause, um dich und deinen Bruder zu besuchen. Und wenn er in der Stadt ist, besuchst du ihn und seine zweite Frau, die wirklich sehr nett ist, jeden Sonntag zum Essen, und manchmal geht ihr beide in den Hobbyraum, wo ihr zusammen ein Anti-Virenprogramm schreibt oder ein MUDGame spielt.
    Und weißt du, was?
    Die Welt glaubt Dir. Denn im Blauen Nichts können sich die Leute einzig und allein auf die Bytes verlassen, die du mit deinen tauben Fingerkuppen in die Tastatur eingibst.
    Die Welt erfährt niemals davon, dass alles von vorne bis hinten erlogen ist. Die Welt erfährt niemals, dass du das einzige Kind einer allein erziehenden Mutter bist, die an drei oder vier Tagen bis spät in die Nacht gearbeitet hat und an den anderen Tagen mit ihren »Bekannten«– ausschließlich Männern – ausgegangen ist. Und dass nicht ihr krankes Herz sie umgebracht hat, sondern ihre Leber und ihr Verstand, die sich beide etwa zur gleichen Zeit auflösten, als du gerade achtzehn warst.
    Die Welt wird nie erfahren, dass dein Vater, der allen möglichen undefinierbaren Beschäftigungen nachging, den einzigen Zweck im Leben, zu dem er jemals bestimmt zu sein schien, erfüllte, als er dich und deine Mutter an dem Tag verließ, an dem du in die dritte Klasse kamst.
    Und dass dein Zuhause eine Abfolge schäbiger Bungalows und Wohnwagen in den schmuddeligsten Ecken von Silicon Valley war und dass die einzige Rechnung, die stets pünktlich gezahlt wurde, die Telefonrechnung war, denn die zahltest du aus der eigenen Tasche, von dem Geld, das du beim Zeitungsaustragen verdientest, um mit der einzigen Sache verbunden zu bleiben, die dich davor bewahrte, vor Kummer und Einsamkeit durchzudrehen: mit deinen Ausflügen in das Blaue Nichts.
    Na schön, Bishop, du hast mich erwischt. Kein Vater, keine Geschwister, eine alkoholabhängige, egoistische Mutter. Und ich – Wyatt Edward Gillette – allein in meinem Zimmer mit meinen Kumpels: meinem Trash-80, meinem Apple, meinem Kaypro, meinem PC, meinem Toshiba, meiner Sun SPARstation …
    Schließlich hob er den Blick und tat das, was er noch nie zuvor getan hatte, nicht einmal seiner Frau gegenüber: Er erzählte einem anderen Menschen seine Geschichte. Frank Bishop sah in Gilletes freudloses, eingefallenes Gesicht und hörte zu, ohne sich zu rühren. Als der Hacker fertig war, zuckte er die Achseln, und Bishop kommentierte lediglich: »Sie haben Ihre gesamte Kindheit social engineered.«
    »Jep. Ich war acht, als er uns verließ«, sagte Gillette, die Hände um die Cola-Dose geklammert. Seine schwieligen Finger drückten einen nervösen Rhythmus in das kalte Metall, als schrieben sie die Worte. I-C-H W-A-R A-C-H-T, A-L-S …»Er war früher bei der Luftwaffe, mein Dad. Irgendwann verschlug es ihn auf den Stützpunkt Travis, und als er entlassen wurde, blieb er in der Gegend hängen. Das heißt, er blieb gelegentlich in der Gegend. Meistens war er mit seinen ehemaligen Kameraden unterwegs oder … na ja, Sie können sich denken, wo er war, wenn er nachts nicht nach Hause kam. An dem Tag, an dem er wegging, haben wir uns zum ersten und einzigen Mal ernsthaft unterhalten. Meine Mutter war irgendwo außer Haus, da kam er in mein Zimmer und sagte, er müsse noch was einkaufen, und wenn ich Lust hätte, könne ich ihn begleiten. Das war ziemlich eigenartig, weil wir sonst nie etwas zusammen machten.«
    Gillettes Finger trommelten einen fast lautlosen Hagelsturm gegen die Getränkedose.
    S-E-E-L-E-N-F-R-I-E-D-E-N … S-E-E-L-E-N-F-R-I-E-D-E-N-…
    »Wir wohnten in Burlingame, nicht weit vom Flugplatz weg. Mein Vater und ich stiegen ins Auto und fuhren zu dieser kleinen Einkaufspassage. Er kaufte ein paar Sachen in einem Laden, dann gingen wir in das Lokal gleich neben dem Bahnhof. Als das Essen auf den Tisch gestellt wurde, war ich so nervös, dass ich nichts runterkriegte. Er hat es nicht einmal gemerkt. Auf einmal legte er seine Gabel hin, schaute mich an und sagte mir, wie unglücklich er mit meiner Mutter sei und dass er wegmüsse. Sein Seelenfrieden sei in Gefahr, er müsse einfach weg, um sich persönlich weiterentwickeln zu können.«
    S-E-E-L-E-N-F-R-I-E-D-E-N-…
    Bishop schüttelte den Kopf. »Er hat mit Ihnen geredet, als wären Sie irgendein Kumpel in einer Bar. Nicht wie mit einem kleinen Jungen. Seinem Sohn. Das war wirklich nicht feinfühlig.«
    »Er sagte, dass es ihm nicht

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