seine Arbeitsweise zu erfahren, und vielleicht erhaschte er sogar einen Blick auf den Code selbst.
Aber er steckte in einem Dilemma. Obwohl er, da er gerootet hatte, in den Trapdoor-Ordner eindringen und sich das Programm ansehen konnte, war er dem Risiko einer vorschnellen Entdeckung ausgesetzt, und zwar auf die gleiche Weise, auf die es Gillette möglich gewesen war, Phate zu spüren, als der Mörder sich im CCU-Rechner aufgehalten hatte. In diesem Fall würde Phate seinen Computer sofort ausschalten und sich einen neuen Provider sowie eine neue Adresse beschaffen. Damit wäre er ein für alle Mal verschwunden, jedenfalls würden sie ihn nicht mehr rechtzeitig lokalisieren können, um das nächste Opfer zu retten.
Nein, so viel hatte er begriffen, obwohl er dem Sog seiner Neugier kaum widerstehen konnte: Er musste vorerst auf Trapdoor verzichten und stattdessen nach Hinweisen suchen, die sie womöglich zu Phate oder Shawn führten oder ihnen verrieten, wer das nächste Opfer sein könnte.
Mit fast schmerzhaftem Widerwillen wandte sich Gillette von Trapdoor ab und machte sich daran, in aller Heimlichkeit Phates Rechner zu durchwühlen.
Viele Menschen stellen sich den Aufbau eines Computers wie eine perfekt symmetrische und aseptische Struktur vor: proportional, logisch, organisiert. Wyatt Gillette hingegen wusste, dass das Innenleben einer Maschine wesentlich organischer war, eher wie eine Höhle oder ein lebender Organismus, ein System, das sich jedes Mal veränderte, wenn ein User ein neues Programm aufrief, neue Hardware installierte oder auch nur etwas so Simples tat, wie den Strom ein- oder auszuschalten. Jeder Rechner birgt Tausende von Stellen, die man besuchen, Myriaden von unterschiedlichen Pfaden, auf denen man sein Ziel erreichen kann. Und jede Maschine unterscheidet sich von allen anderen. Einen fremden Computer zu durchsuchen entsprach in etwa dem Gefühl, eine örtliche Touristenattraktion zu besuchen, wie das Winchester-Spukhaus im nahe gelegenen Santa Clara, jenes herrschaftliche Hundert-Zimmer-Haus, in dem einst die Witwe des Erfinders des berühmten Repetiergewehrs gelebt hatte. Es war von Geheimgängen und versteckten Zimmern durchzogen, ganz abgesehen von den – wenn man der exzentrischen Besitzerin glauben wollte – darin spukenden Geistern.
Die virtuellen Wege von Phates Rechner führten schließlich zum Hauptverzeichnis. Gillette entdeckte einen Ordner mit dem Titel »Korrespondenz« und machte sich wie ein hungriger Hai darüber her.
Er öffnete den ersten Unterordner:
Abgeschickte Mail.
Hier fanden sich hauptsächlich Mails an
[email protected],
die Holloway sowohl als Phate als auch Deathknell abgeschickt hatte.
»Ich hatte Recht«, murmelte Gillette. »Shawn ist beim gleichen Provider wie Phate – Monterey On-Line. Also können wir auch ihn nicht aufspüren.«
Er öffnete wahllos einige der Mails und las sie. Es fiel ihm sofort auf, dass beide ausschließlich ihre Pseudonyme benutzten: Phate oder Deathknell und Shawn. In der Hauptsache drehte es sich um technische Dinge, um Software Patches, Kopien bestimmter aus dem Netz geladener technischer Daten und Spezifikationen sowie Datenbanken. Es schien fast so, als fürchteten sie, dass ihre Maschinen eines Tages in fremde Hände fallen könnten, als hätten sie sich dahingehend verständigt, mit keiner Silbe ihre persönlichen Daten oder irgendetwas anderes zu erwähnen, das sich auf ihr Leben außerhalb des Blauen Nichts bezog.
Nicht der geringste Hinweis darauf, wer Shawn sein könnte oder wo er oder Phate sich aufhielten.
Aber dann stieß Gillette auf eine Mail, die sich von den anderen unterschied. Sie war mehrere Wochen zuvor von Phate an Shawn gesandt worden, um drei Uhr morgens, also in der Geisterstunde der Hacker, einer Zeit, zu der fast nur noch die Hardcore-Geeks online waren.
»Seht euch das mal an«, sagte Gillette zu den anderen.
Patricia Nolan schaute über seine Schulter und las bereits. Er spürte ihre Berührung, als er die Hand ausstreckte und mit dem Zeigefinger gegen den Bildschirm stieß. »Sieht aus, als wären die beiden ein bisschen mehr als nur Freunde.«
Er las dem Team die ersten Zeilen vor: »Gestern Nacht, nachdem ich die Arbeit an dem Patch beendet hatte, legte ich mich aufs Bett. An Schlaf war noch nicht zu denken, und unweigerlich kamst du mir in den Sinn, all das, was du mir gibst … Ich fing an, mich zu streicheln. Auf einmal konnte ich nicht mehr aufhören …«
Gillette sah auf. Das gesamte