Lautloses Duell
Glück war ihr Mann nicht mit ins Krankenhaus gefahren. Frank war ein wandelnder Widerspruch. Da jagte er in den Straßen von Oakland alle möglichen Übeltäter, zeigte sich nach außen hin unbeeindruckt, wenn er Mörder verhaftete, die doppelt so groß waren wie er, plauderte freundlich mit Prostituierten und Drogenhändlern. Sie hatte noch kein einziges Mal gesehen, dass er die Fassung verloren hätte.
Bis letzte Woche. Nachdem eine Routineuntersuchung ergeben hatte, dass Jennie – ohne logische Erklärung – nicht genügend weiße Blutkörperchen hatte. Als sie ihm davon erzählt hatte, war Frank Bishop kreidebleich geworden und verstummt. Er hatte ihr zugehört und mehrere Male genickt, wobei sich sein Kopf wie unter großer Anstrengung bewegt hatte. Sie hatte schon befürchtet, er würde – was sie noch nie gesehen hatte – zu weinen anfangen, und sich gefragt, wie sie
darauf
wohl reagiert hätte.
»Und was heißt das?«, hatte Frank sie mit zittriger Stimme gefragt.
»Es könnte sich um irgendeine Infektion handeln«, hatte sie ihm geantwortet und ihm in die Augen gesehen, »oder um Krebs.«
»Langsam, langsam«, hatte er flüsternd wiederholt, als würden lautes Reden oder bestimmte Worte die Gefahr unweigerlich auf sie lenken.
Sie hatten sich über einige bedeutungslose Details wie Termine und Dr. Willistons guten Ruf unterhalten, dann hatte sie ihn zur Hintertür hinausgeschoben, damit er sich um seine Obstbäume kümmerte, während sie das Abendessen zubereitete.
Es könnte sich um irgendeine Infektion handeln …
Sie liebte Frank Bishop mehr, als sie jemals einen Menschen geliebt hatte, mehr, als sie jemals jemanden würde lieben können. Aber Jennie war froh und dankbar, dass ihr Mann jetzt nicht dabei war. Momentan war sie nicht in der Verfassung, jemand anderem seelische Unterstützung zu geben.
Oder um Krebs …
Na ja, sie würde es früh genug erfahren. Ein Blick auf die Wanduhr. Wo blieb Dr. Williston nur? Es machte ihr nichts aus, ins Krankenhaus zu gehen, auch die Untersuchungen selbst machten ihr nichts aus, aber die Warterei hasste sie. Vielleicht kam etwas im Fernsehen? Wann lief
Im Schatten der Leidenschaft
immer? Oder vielleicht sollte sie ein bisschen das Radio an…
Eine vierschrötige Schwester schob einen Rollwagen voller Medikamente ins Zimmer. »Guten Morgen«, sagte die Frau mit schwerem Latino-Akzent.
»Hallo.«»Sie sind Jennifer Bishop?«»Die bin ich.« Die Schwester konsultierte einen Computerausdruck und schloss Jennie an den Überwachungsmonitor an, der an der Wand über dem Bett angebracht war. Sofort setzte das leise, regelmäßige Piepen ein. Dann schaute die Frau prüfend auf eine Tabelle und ließ den Blick über ein Tablett mit Arzneimitteln schweifen.
»Sie sind Patientin von Dr. Williston, ja?«»Richtig.« Sie sah sich Jennies Plastikarmband an und nickte. Jennie lächelte. »Sie glauben mir wohl nicht?«»Immer nachgucken«, antwortete die Schwester. »Mein Vater, wissen Sie, war Zimmermann. Er immer gesagt: ›Messen zweimal, schneiden einmal.‹«
Jennie musste sich beherrschen, dass sie nicht laut loslachte, denn sie fand, dass dieser Vergleich nicht unbedingt zur Beruhigung von Krankenhauspatienten geeignet sei.
Sie sah zu, wie die Schwester eine klare Flüssigkeit in eine Spritze aufzog und fragte: »Hat Dr. Williston eine Injektion angeordnet?«
»Ja, genau.«»Ich bin nur wegen einiger Tests hier.«
Die Frau überprüfte den Ausdruck noch einmal und nickte: »Das er hat angeordnet.« Jennie warf einen Blick auf das Papier, aber der Wust an Fachausdrücken und Zahlen sagte ihr überhaupt nichts.
Die Schwester desinfizierte ihren Arm mit einem alkoholgetränkten Wattebausch und spritzte ihr das Mittel. Es tat nicht weh. Erst nachdem sie die Nadel herausgezogen hatte, spürte Jennie ein eigenartiges Kribbeln, das sich rings um den Einstich auf ihren Arm ausbreitete – eine seltsame Kälte.
»Doktor kommt gleich.«
Bevor Jennie sie fragen konnte, welches Mittel sie ihr gespritzt hatte, war die Schwester schon wieder draußen. Diese Spritze beunruhigte sie ein wenig. Sie wusste, dass sie in ihrem Zustand mit Arzneimitteln aufpassen musste, aber dann sagte sie sich, dass schon alles seine Richtigkeit hätte. Jennie wusste, dass die Tatsache, dass sie schwanger war, auf ihrem Krankenblatt vermerkt war, und sie wusste auch, das niemand hier etwas tun würde, das ihr oder dem Baby schaden könnte.
32 Kapitel 0010000
»Alles, was ich brauche,
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