Lautloses Duell
Pläne und Millionen von Wörtern ausgetauscht, aber diese Unterhaltungen hatten kein einziges Mal persönlich stattgefunden, sondern stets in der wundersamen Inkarnation der durch Kupferdrähte oder Glasfaserkabel huschenden Elektronen.
Gillette fand, dass Phate für einen Hacker recht sportlich und gesund aussah. Seine Haut war leicht gebräunt, aber Gillette wusste, dass die Farbe aus einer Tube stammte. Social Engineering; kein Hacker auf der ganzen Welt würde Maschinenzeit gegen auch nur zehn Minuten am Strand eintauschen. Das Gesicht des Mannes machte einen amüsierten Eindruck, aber seine Augen waren so kalt wie Steinsplitter.
»Guter Schneider«, sagte Gillette anerkennend und wies mit dem Kinn auf die Arbeitsmontur. Dann nahm er die ZIP-Disk, die Phate mitgebracht hatte, und zog eine Augenbraue hoch.
»Meine Version des guten alten Hide and Seek«, kommentierte Phate. Hide and Seek war ein leistungsfähiges Virus, das jede Maschine der CCU befallen und sämtliche Daten sowie das Betriebssystem verschlüsselt hätte. Das einzige Problem bestand darin, dass es keinen Schlüssel gab, um sie wieder zu dekodieren.
»Woher wusstest du, dass ich komme?«, fragte er Gillette.
»Zuerst dachte ich, du willst jemanden im Krankenhaus umbringen – aber du konntest dir nicht sicher sein, was ich alles in deiner Maschine gesehen habe. Also hast du deinen ursprünglichen Plan geändert. Du hast jemand anderen verschont und wolltest stattdessen mich am Arsch kriegen.«
»So ungefähr.«
»Um sicher zu sein, dass ich hier bleibe, hast du mir die verschlüsselte Nachricht geschickt, die angeblich von Triple-X stammt. Das gab mir den entscheidenden Hinweis. Er hätte uns niemals eine Mail geschickt. Er hätte angerufen. Mit deinem Trapdoor hätte er viel zu viel Angst, dass du ihm auf die Schliche kommst.«
»Aber ich bin ihm auch so auf die Schliche gekommen«, grinste Phate. »Er ist nämlich tot, unser Triple-X.«
»Was?«
»Ich hab auf dem Weg hierher kurz bei ihm vorbeigeschaut.« Er nickte zum Messer. »Das dort ist sein Blut. Sein richtiger Name ist Peter C. Grodsky. Wohnte allein drüben in Sunnyvale und arbeitete tagsüber als Scriptsklave für ein Kreditbüro. Nachts hat er gehackt. Er ist an seiner Maschine gestorben. Was auch immer das bedeuten mag.«
»Wie hast du es rausgekriegt?«
»Dass ihr Informationen über mich austauscht?« Phate schnaubte verächtlich. »Glaubst du wirklich, es gibt irgendetwas auf der Welt, das ich nicht rauskriege, wenn ich es wirklich wissen will?«
»Du Dreckskerl.« Gillette stieß die Pistole nach vorne und wartete darauf, dass Phate zusammenzuckte und um Gnade winselte. Er tat weder das eine noch das andere. Er sah ihn einfach nur an, sah Gillette ernst in die Augen. Dann redete er weiter: »Triple-X musste sowieso sterben. Er war der Verräter.«
»Der was?«
»In unserem
Spiel.
In unserem MUDGame. Triple-X war der Abtrünnige. Diese Figuren müssen immer sterben. Wie Judas. Oder Boromir im
Herrn der Ringe.
Auch deine Figur ist ziemlich eindeutig. Weißt du eigentlich, wen du spielst?« Figuren … Gillette fiel wieder der Begleittext ein, der dem Foto mit der sterbenden Lara Gibson beigegeben war. Die ganze Welt ist ein MUD, und alle Männer und Frauen sind nur Spieler …
»Sag schon.«
»Du bist der Held mit dem Makel. Und dieser Makel wird der Figur normalerweise zum Verhängnis. Zuerst vollbringst du eine heldenhafte Tat, rettest ein paar Leben, und das Publikum weint auch am Schluss um dich. Trotzdem schaffst du es auf keinen Fall bis zum letzten Level des Spiels.«
»Und was ist mein Makel?«
»Weißt du das nicht? Deine Neugier.«
»Und welche Figur bist du?«, wollte Gillette jetzt wissen.
»Ich bin
der große Gegenspieler,
der besser und stärker ist als du, der Antagonist, den keinerlei moralische Bedenken belasten. Andererseits stehen mir die Kräfte des Guten gegenüber. Das macht die ganze Sache heikel … Wen hätten wir denn da so alles? Andy Anderson? Er war der weise Mann, der sterben muss, dessen Geist aber weiterlebt, unser Obi Wan Kenobi. Frank Bishop ist der Soldat …«
Wir hätten Triple-X einen Polizisten als Schutz schicken können, schoss es Gillette durch den Kopf. Wir hätten irgendetwas für ihn tun müssen.
Phate sah Gillette wieder amüsiert an und senkte den Blick auf die Pistole. »Die geben dir ’ne Knarre?«
»Hab ich mir nur ausgeliehen«, erklärte Gillette. »Von einem Burschen, der als Babysitter bei mir geblieben
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