Lautloses Duell
legte nach wenigen Sekunden wieder auf. »Das waren Huerto und Tim. Die Verkäufer im Musikladen haben Phate wiedererkannt und gesagt, er sei in den vergangenen paar Monaten mindestens sechs oder sieben Mal im Laden gewesen und hätte immer Theaterstücke gekauft. Nie Musik.
Tod eines Handlungsreisenden
war die letzte CD, die er gekauft hat. Aber sie haben keine Ahnung, wo er wohnt.«
Bishop machte einen Kringel um den Standort des Musikgeschäfts, tippte mit dem Stift darauf und machte dann einen Kringel um
Ollie’s Theaterfundus
auf dem El Camino Real, wo Phate den Kleber und die anderen Verkleidungsutensilien gekauft hatte. Die beiden Geschäfte waren kaum mehr als einen Kilometer voneinander entfernt, was die Vermutung nahe legte, dass Phate im mittleren oder westlichen Teil des Silicon Valley wohnte; doch auch dort befanden sich mehr als zweiundzwanzig neue Wohnanlagen über ein Gebiet von zehn oder zwölf Quadratkilometern verstreut. »Viel zu groß für eine Befragung von Haustür zu Haustür.«
Sie standen vor der Karte, starrten ungefähr zehn Minuten entmutigt auf die Punkte und Kringel und machten eher nutzlose Vorschläge, wie man die Suche irgendwie einschränken könnte. Der Spurensicherungsdienst rief aus Peter Grodskys Wohnung in Sunnyvale an. Der junge Mann war durch einen Stich ins Herz getötet worden – wie die anderen Opfer in dieser Realversion von Access. Die Beamten waren gerade dabei, alles spurentechnisch zu sichern, hatten bislang aber keine besonderen Hinweise entdecken können.
»Verdammt noch mal!«, fluchte Bob Shelton und trat gegen einen Stuhl, womit er dem Frust Ausdruck verlieh, den alle im Raum verspürten.
Eine ganze Weile herrschte betretenes Schweigen; ein Schweigen, das unerwartet von einer schüchternen Stimme hinter ihnen gebrochen wurde: »Entschuldigung.«
In der Tür stand ein pausbäckiger Teenager mit dicken Brillengläsern, begleitet von einem Mann Anfang zwanzig.
Jamie Turner, der Schüler aus St. Francis, und sein Bruder Mark.
»Hallo, junger Mann«, sagte Frank Bishop und lächelte den Jungen an. »Na, wie geht’s?«
»So weit okay, glaub ich.« Der Junge sah zu seinem Bruder auf, der ihm aufmunternd zunickte. Jamie betrat den Raum und ging schnurstracks auf Gillette zu. »Ich hab gemacht, was Sie von mir wollten«, sagte er und schluckte heftig.
Gillette konnte sich nicht daran erinnern, was der Junge damit meinte, doch er nickte und sagte auffordernd: »Na denn, schieß los.«
»Also«, fing Jamie an, »ich hab mir den Rechner in der Schule noch mal angeschaut, den im Computerraum. Wie Sie’s mir gesagt haben. Und ich hab was gefunden, das Ihnen vielleicht hilft, ihn zu schnappen – den Mann, der Mr. Boethe umgebracht hat, meine ich.«
36 Kapitel 00100100
»Ich hab immer dieses Notizheft neben mir liegen, wenn ich online bin«, erklärte Jamie Turner Gillette mit ernster Miene.
Jeder Hacker, der etwas auf sich hielt, hatte, so unorganisiert und schlampig er sonst auch sein mochte, stets ein paar Stifte sowie einige zerknitterte Stenoblöcke oder Ringbücher oder ein Klemmbrett – eben irgendein Produkt aus toten Bäumen – neben seiner Maschine bereitliegen, sobald er online ging. Darauf hielt er genauere Angaben zu URLS – den Adressen von Websites – fest, auf die er stieß, oder den Namen von Software, die Kürzel von Hackerkollegen, hinter denen er her war, sowie andere Quellen, die ihm beim Hacken nützlich sein konnten. Das war durchaus notwendig, weil die meisten Informationen, die im Blauen Nichts herumschwirrten, so kompliziert waren, dass sich nach einer Weile niemand mehr genau an irgendwelche Einzelheiten erinnern konnte. Und genau darauf kam es an, denn ein einziger typographischer Fehler hatte zur Folge, dass man einen echt geilen Hack in den Sand setzte oder nie mehr auf die coolste Website oder in die spannendste Newsgroup kam, die jemals geschaffen wurde.
Es war 13 Uhr 30, und alle im CCU-Team spürten die gnadenlose Verzweiflung und die schreckliche Ohnmacht der Tatsache gegenüber, dass Phate sich jeden Augenblick über sein nächstes Opfer hermachen konnte. Trotzdem ließ Gillette den Jungen in aller Ruhe seine Sätze formulieren.
»Ich hab mir alles noch mal angesehen, was ich geschrieben hab, bevor Mr. Boethe … bevor das mit ihm passiert ist.«
»Was hast du herausgefunden?«, munterte ihn Gillette auf. Frank Bishop setzte sich neben den Jungen, nickte ihm zu und lächelte: »Erzähl weiter.«
»Also, die Kiste, die
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