Lautloses Duell
Anfang schuf Gott das Advanced Research Projects Agency Network, das auf den Namen ARPAnet getauft wurde, und das ARPAnet wuchs und gedieh und zeugte das Milnet, und das AR-PAnet und das Milnet zeugten das Internet, und das Internet und seine Nachkommen, USENET Newsgroups und das World Wide Web, wurden zu einer Dreifaltigkeit, die das Leben Seines Volkes für alle Zeiten grundlegend veränderte.
Andy Anderson, der das Netz immer so definierte, wenn er Unterricht in Computergeschichte gab, musste an diese, einen Tick zu geistreiche Beschreibung denken, als er durch Palo Alto fuhr und die Stanford University vor sich liegen sah. Denn nicht weit von hier, im Forschungsinstitut von Stanford, das damals vom Verteidigungsministerium eingerichtet wurde, war im Jahre 1969 der Vorgänger des Internet ins Leben gerufen worden, um eben dieses Forschungsinstitut mit der Universität von Los Angeles, der University of California in Santa Barbara und der University of Utah zu vernetzen.
Die Ehrfurcht, die ihn beim Anblick des Universitätsgeländes erfasste, verflog jedoch rasch, als er weiter durch den Nieselregen fuhr und direkt vor sich im John Milliken Park die einsame Erhebung des Hacker’s Knoll auftauchen sah. Normalerweise tummelten sich hier ganze Scharen junger Leute zum Austausch von Software und der neuesten Hacker-Stories, um von Heldentaten im Netz und in Newsgroups auf der ganzen Welt zu berichten. An diesem Tag jedoch sorgte der kalte Aprilregen dafür, dass das Gelände trist und verlassen dalag.
Anderson parkte den Wagen, setzte einen zerbeulten grauen Regenhut auf, den ihm seine sechsjährige Tochter zum Geburtstag geschenkt hatte, stieg aus dem Wagen und stapfte durch das Gras, Perlenschnüre aus Regen von seinen Schuhen vor sich herschleudernd. Das Fehlen möglicher Zeugen, die ihn auf die Spur des Waffenhändlers Peter Fowler bringen könnten, entmutigte ihn ein wenig, aber er wusste, dass sich auch bei Regen und Schnee fast immer ein paar Kids auf der überdachten Brücke in der Mitte des Parks herumtrieben.
Doch als er sich der Brücke näherte, sah er, dass sie ebenfalls verwaist war.
Er blieb stehen und sah sich um. Die einzigen Leute, die er sah, waren eindeutig keine Hacker: Eine ältere Frau, die einen Hund ausführte, und ein Geschäftsmann, der nicht weit entfernt unter dem Vordach eines Universitätsgebäudes stand und in sein Handy redete.
Anderson dachte an einen Coffee Shop unten in Palo Alto, nicht weit vom Hotel California entfernt. Auch dort trafen sich die Geeks, um starken schwarzen Kaffee zu schlürfen und von ihren unglaublichen Hacks zu erzählen. Er beschloss, sich in diesem Restaurant umzuhören; vielleicht hatte jemand von Fowler oder einem anderen Dealer gehört, der Pistolen und Messer verkaufte. Wenn nicht, wollte er es im Informatikgebäude versuchen und dort einige Professoren und Studenten befragen, mit denen er schon früher zusammengearbeitet hatte. Womöglich hatten sie jemanden …
Der Detective nahm ganz in der Nähe eine Bewegung wahr.
Kaum zwanzig Meter von ihm entfernt ging ein junger Mann verstohlen durch den Regen auf die Brücke zu und schaute alle paar Sekunden misstrauisch nach hinten.
Anderson duckte sich hinter einen Wachholderstrauch und ging dort in die Hocke. Er wusste, dass er Lara Gibsons Mörder vor sich hatte. Er war in den Zwanzigern, trug die blaue Jeansjacke, von der die Fasern stammen mussten, die man an der Leiche der Frau gefunden hatte. Er war blond und glatt rasiert, der Bart und der Schnurrbart, die er in der Bar getragen hatte, waren falsch gewesen, mit Theaterkleber angeklebt.
Social engineering …
Als die Jacke des Mannes einen Augenblick aufging, sah Anderson den klobigen Griff eines Militärmessers aus dem Hosenbund ragen. Der Mörder zog die Jacke rasch wieder zu und schritt weiter auf die Brücke zu, in deren Schatten er stehen blieb und nach draußen spähte.
Wahrscheinlich wollte er Fowler noch mehr Waffen abkaufen.
Anderson verharrte in seinem Versteck und wählte die Nummer der Funkzentrale der State Police. Er hoffte, dass sein Nokia die gebotene Hast klaglos schluckte. Einen Augenblick später antwortete die Zentrale und erkundigte sich nach seiner Dienstnummer.
»Vier, drei, acht, neun, zwei«, flüsterte Anderson. »Ich brauche sofort Verstärkung. Ich bin in Sichtweite eines Mordverdächtigen. Ich bin im John Milliken Park, Palo Alto, südwestliche Ecke.«
»Verstanden, VierDreiAcht«, antwortete der Mann. »Ist der
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