Lautloses Duell
Verdächtige bewaffnet?«
»Ich habe ein Messer gesehen, weiß aber nicht, wie’s mit Schusswaffen aussieht.«
»Sitzt er in einem Fahrzeug?«
»Negativ«, gab Anderson mit hämmerndem Herzen durch. »Er ist momentan zu Fuß.«
Der Kollege in der Zentrale bat ihn, einen Augenblick zu warten. Anderson hielt den Blick fest auf den Mörder gerichtet, als könnte er ihn damit bewegungslos machen. »Wann ist die Verstärkung voraussichtlich hier?«
»Einen Augenblick, VierDreiAcht … Okay, hier haben wir’s … sie ist in zwölf Minuten bei Ihnen.«
»Kriegen Sie niemanden schneller her?«
»Negativ, VierDreiAcht. Näher ist niemand dran. Können Sie an dem Verdächtigen dranbleiben?«
»Werd’s versuchen.«
Aber genau in diesem Augenblick setzte sich der Mann wieder in Bewegung. Er verließ die Brücke und schlenderte einen Weg hinunter.
»Er ist wieder unterwegs, Zentrale. Er geht Richtung Westen, mitten durch den Park, auf einige Uni-Gebäude zu. Ich bleibe dran und halte Sie hinsichtlich seiner Position auf dem Laufenden.«
»Verstanden, VierDreiAcht. Der nächste zur Verfügung stehende Streifenwagen ist unterwegs.«
Der nächste zur Verfügung stehende Streifenwagen … Die hatten Nerven.
Anderson hielt sich dicht an die Büsche und Bäume, schob sich an die Brücke heran und hielt sich außerhalb des Blickfeldes des Mörders. Warum war er zurückgekommen? Suchte er hier sein nächstes Opfer? Wollte er die Spuren eines früheren Verbrechens beseitigen? Hatte er Zugang zu der ständig belagerten Computerabteilung der Uni? Half ihm dort jemand, seinen Virus zu schreiben?
Er schaute auf die Uhr. Nicht mal eine Minute vorbei. Sollte er noch einmal anrufen und der Einheit ausrichten lassen, dass sie sich leise und ohne Sirenen nähern sollte? Er wusste es nicht. Vielleicht verzögerte sich ihre Ankunft dadurch noch mehr. Wahrscheinlich gab es genau festgelegte Vorschriften für derlei Situationen – Vorschriften, die Cops wie Frank Bishop und Bob Shelton garantiert auswendig kannten. Anderson war eine andere Art von Polizeiarbeit gewöhnt. Seine Observationen fanden normalerweise in Lieferwagen und Kleinbussen statt, wo er auf den Bildschirm eines Toshiba-Laptops starrte, der mit einem Funkpeilsystem verbunden war.
Wenn er es recht überlegte, hatte er in den vergangenen zwei Jahren weder seine Waffe noch seine Handschellen auch nur einmal aus ihren Lederholstern gezogen.
Apropos: seine Waffe …
Er senkte den Blick auf den klobigen Griff der Glock, zog die Pistole leise heraus und hielt sie nach unten, den Finger weg vom Abzug, so wie er sich dunkel an das Procedere erinnerte.
Noch zehn Minuten, bis die verdammte Verstärkung anrollte.
Dann hörte er ein leises, elektronisches Trillern durch das Nieseln.
Jemand rief den Mörder auf dem Handy an. Er zog das Gerät aus dem Gürtel und hielt es sich ans Ohr. Er sah auf seine Armbanduhr, sprach ein paar Worte. Dann verstaute er das Telefon wieder und setzte seinen Weg fort.
Verflucht, er geht zurück zu seinem Auto, dachte der Detective. Er geht mir durch die Lappen …
Noch acht Minuten, bis zum Eintreffen der Verstärkung.
Andy Anderson kam zu dem Schluss, dass ihm keine andere Wahl blieb. Er würde etwas tun, was er noch nie zuvor getan hatte: Auf eigene Faust einen Verdächtigen festnehmen.
9 Kapitel 00001001
Anderson schlich geduckt hinter einem niedrigen Busch entlang.
Der Killer schritt rasch aus, die Hände in den Taschen.
Gut so, dachte Anderson. Wenn seine Hände nicht frei sind, kommt er nicht so gut an das Messer heran.
Aber dann fiel ihm ein: Langsam … wenn er aber eine Pistole in seiner Tasche versteckt hat?
Okay, also auch diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen. Und immer daran denken, dass er möglicherweise MACE oder Pfefferspray oder Tränengas dabei hat.
Und nicht vergessen, dass er auch einfach die Flucht ergreifen könnte. Der Polizist fragte sich, was er in diesem Fall tun würde. Wie lauteten noch mal die Vorschriften bei flüchtigen Verbrechern? Durfte er dem Mörder einfach in den Rücken schießen? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern.
In den vergangenen Jahren hatte er jede Menge Krimineller festgenommen, aber stets in der Begleitung von Leuten wie Frank Bishop, für die Schusswaffen und riskante Festnahmen so zum Tagesgeschäft gehörten, wie für ihn das Kompilieren eines Programms in C++.
Der Detective schloss näher zu dem Mörder auf. Zum Glück dämpfte der Regen das Geräusch seiner Schritte.
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