Lautloses Duell
genug Leute in unserer Abteilung. Vielleicht findest du mehr als wir.«
Jetzt war es dem Jungen peinlich, dass er geweint hatte. Er wischte sich zornig über das Gesicht. »Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass ich das will.«
»Wir könnten deine Hilfe gut gebrauchen.«
»Na gut, Jamie«, mischte sich der stellvertretende Direktor ein. »Höchste Zeit, dass du in dein Zimmer gehst.«
»Nein«, sagte sein Bruder. »Er bleibt heute Nacht bei mir. Wir gehen zu unserem Konzert und anschließend übernachtet er bei mir.«
»Dazu braucht er eine schriftliche Einverständniserklärung der Eltern«, konterte der Lehrer schroff. »Leider konnten wir Ihre Eltern nicht ausfindig machen. Es gibt hier gewisse Regeln, und auch nach all dem«– er machte eine umfassende Handbewegung –»werden wir nicht davon abweichen.«
Mark Turner beugte sich vor und flüsterte wütend: »Herrgott noch mal, jetzt machen Sie mal halblang, ja? Der Junge hat gerade die schlimmste Nacht seines Lebens hinter sich, und Sie …«
Der Lehrer fiel ihm barsch ins Wort: »Sie haben nicht darüber zu befinden, wie ich mit meinen Schülern umgehe.«
Jetzt mischte sich Frank Bishop ein. »Aber
ich
. Und Jamie bleibt weder hier, noch geht er zu irgendeinem Konzert. Er begleitet uns zum Polizeipräsidium und macht dort seine Aussage. Anschließend bringen wir ihn zu seinem Elternhaus.«
»Dort will ich nicht hin«, sagte der Junge leise. »Nicht zu meinen Eltern.«
»Ich fürchte, wir haben keine andere Wahl, Jamie«, sagte der Detective.
Der Junge stieß einen schweren Seufzer aus, als wollte er wieder anfangen zu weinen.
Bishop blickte den stellvertretenden Direktor an und sagte: »Ich übernehme ab jetzt die Verantwortung. Sie dürften mit den anderen Jungs heute Nacht ohnehin alle Hände voll zu tun haben.«
Der Mann funkelte zuerst den Detective und dann die kaputte Tür verächtlich an und verließ den Computerraum.
Nachdem er weg war, lächelte Frank Bishop und sagte zu dem Jungen: »Na schön, junger Mann. Dann machst du dich mit deinem Bruder mal besser vom Acker. Die Vorgruppe habt ihr zwar verpasst, aber wenn ihr euch beeilt, kriegt ihr das eigentliche Konzert noch mit.«
»Und meine Eltern? Sie sagten doch …«
»Das darfst du getrost vergessen. Ich rufe deine Mutter und deinen Vater an und erzähle ihnen, dass du die Nacht über bei deinem Bruder bleibst.« Sein Blick wechselte zu Mark. »Achten Sie nur darauf, dass er morgen früh pünktlich zum Unterrichtsbeginn wieder hier ist.«
Der Junge konnte nicht lächeln; nicht nach all dem, was geschehen war, aber er murmelte eine leises »Dankeschön«. Dann ging er zur Tür.
Mark Turner schüttelte dem Detective die Hand.
»Jamie«, rief Gillette.
Der Junge drehte sich um.
»Überleg dir das, was ich dir gesagt habe. Ob du uns helfen willst.«
Jamie starrte einen Moment auf den rauchenden Monitor, dann wandte er ihnen ohne ein weiteres Wort den Rücken zu.
»Glauben Sie wirklich, dass er etwas findet?«, fragte Bishop Gillette.
»Keine Ahnung. Deshalb habe ich ihn nicht gefragt. Ich finde nur, dass er nach einem solchen Vorfall wieder in den Sattel muss.« Gillette zeigte auf Jamies Notizen. »Er ist begabt. Es wäre ein Verbrechen, wenn er schussscheu würde und sich nicht mehr an die Maschinen traute.«
»Das haben Sie wirklich klasse gemacht, Wyatt.« Der Detective schien von Gillettes Einfühlungsvermögen tief berührt. »Je besser ich Sie kennen lerne, umso weniger kommen Sie mir wie der typische Hacker vor.«
»Wer weiß. Vielleicht bin ich ja gar keiner.«
Dann half Gillette Linda Sanchez dabei, den Computer, der bei der Ermordung des armen Willem Boethe so etwas wie ein Spießgeselle gewesen war, transportfähig zu machen. Sie schlug ihn in eine Decke ein und schnallte ihn sorgfältig auf einem Rollwagen fest, als befürchtete sie, dass allzu heftiges Schütteln oder grobe Behandlung irgendwelche filigranen Hinweise auf den Aufenthaltsort ihres Gegenspielers vernichten könnten.
In der CCU-Lagerhalle warteten nur wenig neue Informationen auf sie.
Der Computeralarm, der sie auf die Anwesenheit von Phate oder Shawn im Netz aufmerksam machen sollte, war nicht angesprungen, auch Triple-X war nicht mehr online gegangen.
Tony Mott, der immer noch verstimmt darüber schien, dass man ihm die Chance verwehrt hatte, »richtig Polizist« zu spielen, brütete missmutig über mehreren Blättern gelbem Notizpapier, auf dem er und Miller zahllose Notizen festgehalten
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