Lavendel und Blütenstaub
Wolke vor die Sonne geschoben hatte. Sie setzte sich dennoch unter den Nussbaum. Dabei kam ihr das Gespräch vom Vortag in den Sinn. Sie musste lächeln.
Der Tag, an dem Johann sechzig geworden war, war für den baldigen Rentner ein ganz besonders stressiger gewesen. Er musste früh in den Laden, da eine Lieferung anstand. So hatten Johann und Anna am Morgen nicht viel Zeit zum Frühstücken. Geredet wurde nur das Nötigste, weshalb selbst Johann im ersten Moment seinen Geburtstag vergessen hatte. Erst als der erste Stress vorbei war, fiel er ihm ein. Er war seiner Frau aber nicht böse, auch, weil sie ausgemacht hatten, dass sie diesen runden Geburtstag nur im kleinsten Kreise feiern würden. Der Siebziger soll dann besonders groß zelebriert werden, denn dann wäre er schon einige Jahre in Pension und hätte viel mehr Zeit.
Was Johann nicht wusste: Anna hatte die Lieferung an diesem Tag extra geplant. So würde Johann eingespannt und abgelenkt sein und sie konnte zu Hause alles für eine Überraschungsgrillparty vorbereiten. Anna fand, ein Sechziger musste schließlich groß gefeiert werden, Stress hin oder her.
Stella mit ihrem italienischen Freund Flavio, Erwin, Gabriela und Aurelia waren eingeweiht gewesen. Außerdem noch ein paar Freunde und Nachbarn. Jeder sollte selbstgemachte Leckereien mitbringen, um die Dekoration und die Getränke wollte sich Anna kümmern.
Bis zum Abend war alles vorbereitet gewesen. Die Gäste waren anwesend, die Getränke gekühlt, fehlte nur noch das Geburtstagskind.
Johann kam um sieben. Er wollte seiner Frau Gelegenheit geben, doch noch an seinen Geburtstag zu denken. Dass allerdings eine Überraschungsparty auf ihn wartete, damit hatte er nicht gerechnet. Die Freude war riesig und selbst zwanzig Jahre später sah Anna in Gedanken noch das strahlende Lächeln ihres Mannes, als er die Familie und Freunde erblickt hatte.
An dieses Lächeln musste Anna denken, als sie unter dem Nussbaum saß. Sie lachte.
"Schön, dich so glücklich zu sehen."
Stella war unbemerkt auf die Terrasse gekommen. Sie war nun mit kurzen Shorts und einem ärmellosen Top bekleidet. Die Haare waren gekämmt und locker nach oben gesteckt. Ein paar Strähnen umrahmten das helle hübsche Gesicht. Sie sah so ganz anders aus als Erwin, bemerkte Anna. Er war nach seinem Vater geraten, und sie nach ihr. Wie Tag und Nacht.
"Ich bin auch glücklich", sagte sie schließlich. "Ich habe schöne Erinnerungen in meinem Herzen, die mir keiner nehmen kann." Dabei lächelte sie noch ein klein wenig mehr.
"Komm, lass uns frühstücken. Ich habe schon den Tisch gedeckt."
Anna nickte dankbar, erhob sich und folgte ihrem kleinen Stern ins Haus.
Jonathan
"Alter, du hast sturmfrei, stell dich doch nicht so an. Sind ja nur ein paar Leute."
"Nein, keinen Bock."
"Mann, scheiße, was ist los mit dir? Bist ein Muttersöhnchen geworden, oder was?"
Jonathan sparte sich die Antwort und klappte schlecht gelaunt sein Handy zu. Er warf es in die Ecke des Zimmers und drehte die Anlage wieder auf. Im Bruchteil einer Sekunde war der Raum mit Bassgeräuschen erfüllt. Das Bild im Flur gab endlich der Schwerkraft nach und fiel krachend zu Boden.
Seit Tagen war er nun schon alleine zu Hause. Einmal täglich rief Stella an und fragte nach dem Rechten. Jonathan antwortete immer nur knapp und fragte nie, wie es seiner Oma ging, weshalb Stella die Telefonate immer kürzer hielt.
Eigentlich wollte er die Tage ohne seiner Mutter genießen und einfach nur Spaß haben, ohne sich immer rechtfertigen zu müssen. Stattdessen hockte er nur zu Hause herum und hatte keine Lust, irgend etwas zu tun. Er wusste zwar, dass er eigentlich zum Arbeitsamt und zu seinem Jugendbetreuer sollte, aber er schob den Termin schon seit Wochen vor sich her. Da machte eine Woche mehr oder weniger auch nichts mehr aus.
Jonathan war seit beinahe zwei Jahren ausbildungs- und arbeitslos. Nach der Hauptschule hatte er sich auf Druck von Stella bei einer Elektrofirma beworben. Entgegen den Erwartungen und trotz des miserablen Zeugnisses bekam er die Lehrstelle. Er war sich sicher, dass seine Mutter die Hände im Spiel gehabt hatte.
Zwei Jahre lang hatte er sich dann durch Schaltkästen, Schnittstellen und sonstigen Kram gekämpft, dann schmiss er alles hin und ging einfach nicht mehr zur Arbeit. Sein Lehrherr machte ihm zwar das Angebot, die Lehre abschließen zu können, indem er nur noch die Berufsschule und die Abschlussprüfungen machen musste, doch
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