Lavendel und Blütenstaub
wollte. Sie hatte auch so schon genug Sorgen, die sie um den Schlaf brachten.
Die vergangene Nacht war unruhig gewesen. Anna hatte in den letzten Tagen immer wieder leichte bis mittelschwere Schmerzen gehabt. Mit den Medikamenten war es ganz gut in den Griff zu bekommen gewesen, doch letzte Nacht half auch die erlaubte Dosis nichts mehr. Anna hatte gejammert und geweint, da wusste Stella, dass es wirklich weh getan hatte, denn ihre Mutter war keine, die schnell Schmerzen zeigte.
Für den Notfall hatte Dr. Werneck Stella ein starkes Medikament mitgegeben. Nach einer nächtlichen Telefonrücksprache mit dem Krankenhaus hatte sie es eingesetzt und Anna Trost gespendet, bis das Mittel gewirkt hatte. Gegen Morgen war Anna dann endlich in einen tiefen Schlaf gefallen und Stella war in ihr Bett gekrochen, die Tür weit geöffnet, damit sie ihre Mutter hören konnte, falls sie von oben nach ihr rief.
Mit leisen Sohlen schlich Stella in den ersten Stock. Anna lag blass und kränklich in ihrem Bett, nur mit einer dünnen Sommerdecke zugedeckt. Stella vergewisserte sich, dass sie ruhig atmete und nicht fror, dann setzte sie sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand, und beobachtete Anna.
Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, als sie ihre Mutter so daliegen sah. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sie jemals krank erlebt hatte. So verletzlich war sie zuletzt, als Johann gestorben war.
Stella konnte sich noch genau erinnern, dass sie gerade dabei gewesen war, Wäsche in Waschmaschine zu geben, als das Telefon geläutet hatte. Am anderen Ende war ihre Mutter gewesen. Stella hatte nur verstanden, dass etwas mit ihrem Vater wäre und sie schnell kommen solle. Mehr Informationen waren in Schluchzen und Weinen verloren gegangen.
Zwei Stunden später war sie in der Klinik angekommen. Ihre Mutter hatte sie im Flur auf einen Stuhl sitzend vorgefunden; in sich zusammengesunken und weinend. Als Stella neben sie getreten war, hatte Anna mit verquollenen Augen aufgeblickt und geflüstert: "Es ist so furchtbar", dann weinte sie wieder unaufhaltsam.
Am nächsten Morgen war Johann im Beisein seiner Frau und Tochter verstorben.
Erst später hatte Stella erfahren, dass ihr Vater schon am Morgen des Vortages über Magenschmerzen geklagt hatte. Diese hatte er jedoch auf seine Magengeschwüre geschoben und deshalb nur Tabletten gegen die Schmerzen genommen. Danach brach er mit Anna zu einer Wanderung auf. Wie jedes Jahr waren sie im Sommer für eine Woche in die Berge gefahren. Mitten im Wald, dreißig Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt, hatten sie eine kleine Almhütte gemietet gehabt. Sie freuten sich immer auf diesen Urlaub, konnten sie dort doch ihre Kraftreserven wieder auffüllen und die Zeit zu zweit genießen.
Sie waren etwa eine Stunde unterwegs gewesen, als Johann wieder über Schmerzen geklagt hatte. Schließlich wurden sie so unerträglich, dass er keinen Schritt mehr laufen konnte. Handys waren zu dieser Zeit noch nicht recht verbreitet, und so konnte Anna keine Hilfe rufen. Sie stützte Johann mit ihrem zierlichen Körper so gut es ging und so schafften sie es zu einer nahe gelegenen Almhütte. Dort waren zufällig weitere Wanderer, die einen Notruf absetzen konnten.
Die Bergung mit dem Hubschrauber ging rasch und Johann wurde ins nächste größere Spital geflogen. Die Ärzte waren jedoch machtlos. Da er am Morgen gegessen hatte, hatte sich der Mageninhalt im Bauchraum verteilt. Der Tod war qualvoll und schmerzhaft.
Stella hatte versucht in dieser schwierigen Zeit ihrer Mutter so gut es ging beizustehen. Erst nach ein paar Wochen, als ihre Mutter die tiefste Phase der Trauer überwunden hatte und das Schicksal annehmen konnte, erfasste Stella die Trauer um ihren Vater mit voller Wucht. Und sie schwor sich, Erwin nie im Leben zu verzeihen. Sie gab ihm die Schuld am Tod ihres Vaters.
Stella wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie das Telefon läuten hörte. Schnell erhob sie sich vom Stuhl und warf noch einen Blick auf Anna. Diese schlief noch immer tief und fest. Leise ging Stella nach unten.
"Bei Lukas", meldete sie sich.
Am anderen Ende der Leitung war es ruhig.
"Wer ist da?", fragte sie unwirsch. Auf derbe Telefonscherze hatte sie bei diesem Schlafmangel keine Lust.
"Hier ist Erwin", meldete sich schließlich jemand zögerlich. "Ist Mutter da?"
"Sie schläft", sagte Stella knapp.
"Dann rufe ich später wieder an."
Das Freizeichen ertönte und Stella knallte den Hörer auf die Gabel.
Da
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