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Lavendel und Blütenstaub

Lavendel und Blütenstaub

Titel: Lavendel und Blütenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Habersatter
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hatte. Ihr Mann Gustav war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als Ludwig sechzehn Jahre alt war. Trotz des schweren Schicksalsschlages war er unbeirrt seinen Weg gegangen, hatte die Matura absolviert und ein Medizinstudium begonnen.
    Bei einer routinemäßigen Gesundenuntersuchung wurde bei Maria ein golfballgroßer Tumor an der Niere entdeckt. Maria hatte zwar über Kreuzschmerzen geklagt, dachte jedoch, dass diese von einer Verkühlung des Beckens kamen.
    Bei der anschließenden, rasch durchgeführten Operation war die Diagnose eindeutig: Lymphknotenkrebs, allerdings ohne Metastasenbildung, mit Chance auf Heilung. Sofort stimmte sie einer Chemotherapie zu. Zwei Jahre und drei Chemotherapien später war der Krebs scheinbar besiegt. Sie feierte ihren zweiten Geburtstag und genoss das Leben in vollen Zügen. Nie hatte sie an der Genesung gezweifelt. Der Tod hatte sie einfach nicht interessiert.
    Fünf Jahre war sie beschwerdefrei gewesen, dann kehrte der Krebs mit voller Wucht zurück.
    Ludwig war mittlerweile mit dem Medizinstudium fertig und studierte die Ergebnisse der Krebsforschung auf das Genaueste. Wie seine Mutter wollte auch er sich nicht mit der Diagnose und dem Tod auseinandersetzen. Auch dieses Mal würde sie den Krebs besiegen, dessen war er sich sicher.
    Es dauerte ein Jahr lang, dann gab Maria auf. Sie war seit vier Wochen an ihrem Bett gefesselt und erhielt Morphium, um die Schmerzen im Zaum zu halten. Ludwig war jeden Tag an ihrer Seite. Er ging nur, um zu arbeiten, dann kehrte er an ihr Krankenbett zurück, um seiner Mutter beizustehen.
    "Einmal möchte ich noch ans Meer fahren", sagte sie in den seltenen Momenten, wo sie schmerzfrei und hellwach war.
    "Das werden wir. Gleich, wenn es wärmer ist."
    "Und ich möchte noch einmal den schönen Spazierweg gehen, der im Wald um diesen einen Hügel herum geht. Wie hieß er doch gleich?"
    "Du meinst den Erlebnisweg?"
    "Genau der. Da möchte ich noch einmal gehen und die Blätter unter meinen Füßen rascheln hören."
    "Das wirst du. Im Herbst, gleich wenn das Laub von den Bäumen gefallen ist."
    Doch sie tat es nicht mehr. Weder im Frühjahr, noch im Herbst. Es war zu spät. Maria starb an einem Februarmorgen an den Folgen ihrer langjährigen Krebserkrankung. Ludwig bereute es zutiefst, dass er die Jahre zuvor nicht sinnvoller mit ihr genutzt hatte. Sie hatten dieses Ende nicht annehmen können und deshalb gemeinsame Aktivitäten auf danach verschoben. Doch für Maria hatte es dieses Danach nicht gegeben.
     
     
    Anna
     
    Da war er wieder, dieser blonde Junge, der aussah wie Justus. Wie konnte das sein? Wie konnte nach so vielen Jahren sein Gesicht in ihren Träumen auftauchen?
    Sie war ratlos. Sie wusste ganz genau, dass sie träumte, und das verwirrte sie. Seit wann waren ihre Träume so klar? So intensiv? So lebendig? Sie dachte nach. Es war seit der Diagnose. Seit sie das erste Mal im Krankenhaus gewesen war. Aber warum?
    "Fang mich doch!"
    Wieder diese Aufforderung mit dieser hellen Kinderstimme.
    Sie gab sich einen Ruck und trat an die Hecke, die ihr Grundstück vom Bach trennte. "Komm heraus", sagte sie fordernd und mit fester Stimme.
    Der Junge lachte. Es war ein lautes, fröhliches Lachen, wie es nur Kinder lachen können.
    "Neck' mich nicht, sondern komm heraus!" Sie wurde ungeduldig.
    Der Junge steckte den Kopf durch die Hecke und sah sie mit seinen blauen Augen an.
    "Warum so grantig, Schwesterchen?"
    "Ich bin nicht grantig", antwortete sie.
    "Doooch, bist du!" Der Junge zog den Kopf zurück, lachte und war wieder verschwunden.
    Angst machte sich in ihr breit. Sie versuchte, das bedrohliche Rauschen des Baches zu ignorieren. Es war nur ein Traum, dem Jungen konnte nichts geschehen, flüsterte sie sich immer wieder zu. Das Herzrasen wurde weniger und sie entspannte sich etwas. Sie setzte sich auf die Bank unter den Nussbaum und wartete. Vielleicht würde der Junge wieder kommen, wenn ihm langweilig wurde.
    "Wieso kommst du nicht?", fragte der Junge durch die Hecke.
    Sie konnte ihn nicht sehen, aber das Rascheln der Zweige verriet ihn. In diese Richtung sagte sie: "Ich passe nicht durch die Hecke."
    "Wieso nicht?"
    Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. "Weil ich zu groß bin, siehst du das nicht?"
    Der blonde Haarschopf wurde wieder zwischen den Zweigen sichtbar. "Wieso bist du zu groß?"
    Sie dachte nach. War das ein Spiel, das der Junge mit ihr trieb? Sie antwortete: "Weil ich erwachsen bin, deshalb."
    "Erwachsen sein ist doof",

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