Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
ihn.«
»Morgen zeige ich dir das Bild. Er sah aus wie ...«
»Wie wer?«
»Wie wir. Die gleichen Augen. Die gleiche Figur. Die gleiche Nase.«
»War er mürrisch? Lachte er gern? War er klug?«
»Offenbar nicht klug genug, um einen dummen Zwist am Kartentisch zu vermeiden«, sagte Anthony. »Und was das Übrige betrifft, so glaube ich, dass Frauen ihn charmant fanden.«
Dominic ließ einen tiefen Seufzer hören. »Ja, so muss es wohl gewesen sein.«
»Ich erinnere mich, dass er meiner Mutter oft Anlass für Tränen gab und dass er alles, darunter auch unser Haus, bei jenem letzten Kartenspiel verlor.«
»Das ist alles? Mehr weißt du nicht?«
Anthony spürte, wie sich schon wieder Zorn in ihm regte. »Willst du wissen, was mir aus meiner Kindheit am lebhaftesten in Erinnerung blieb? Ich erinnere mich an den Mann, der mich aufzog. Ich erinnere mich, dass es Tobias war, der mir Schach beibrachte. Tobias war es, der einen Hauslehrer für mich anstellte, damit ich nach Annes Tod nicht fort und auf die Schule musste. Tobias war es, der mir mein erstes Rasiermesser schenkte und mir zeigte, wie man damit umgeht. Tobias war es, der mir sagte, was von einem Mann erwartet wird, und mir erläuterte, was man unter Ehe versteht. Es war Tobias, der ...«
»Genug.« Dominic hob abwehrend eine Hand. »Ich habe verstanden.«
Anthony nahm sich noch ein Pastetchen und biss ab. »Und wie war er? Der Mann, der dich als Sohn aufzog.«
Dominic blickte die dunkle Straße entlang. »Er war mir eher' Großvater als Vater ... von der Gicht geplagt, saß er meist da, einen Fuß auf einen Schemel stützend.«
»Mehr blieb dir nicht in Erinnerung?«
Dominic zögerte. »Nein. Ich weiß noch, dass er mir mein erstes Teleskop gab und mir zeigte, wie man den Mond betrachtet. Er unterwies mich in Mathematik. Er führte mich zu meinem ersten naturwissenschaftlichen Vortrag und kaufte mir später ein paar Apparate für einfache chemische Experimente.«
»Er behandelte dich wie einen Sohn.«
»Ja. Und ich liebte und achtete ihn. Er starb, als ich siebzehn war. Die Wahrheit über meinen leiblichen Vater entdeckte ich erst, als ich nach dem Tod meiner Mutter ihr Tagebuch fand. Falls Bartholomew Hood ahnte, dass ich nicht sein Sohn war, ließ er es mich nie fühlen.«
»Wenn man die Sache näher betrachtet«, sagte Anthony, »sieht es aus, als hätten wir beide mit den Männern, die uns aufzogen, Glück gehabt. Wir hätten es sehr viel schlechter treffen können.«
Dominic ließ einen merkwürdigen Laut, halb Stöhnen, halb ironisches Auflachen, hören. »Du meinst wohl, wir hätten jemandem wie unserem wirklichen Vater in die Hände fallen können? Unter diesem Aspekt habe ich es nie gesehen. Du magst Recht haben.«
Lavinia schenkte sich ein Gläschen Brandy ein und setzte sich in den Sessel neben jenem, in dem Tobias sich niedergelassen hatte. Sie stützte die Füße auf den kleinen Schemel und blickte in das Feuerchen im Kamin.
Es war fast zwei Uhr morgens, im Haus war es still. Mrs Chilton und Emeline waren zu Bett gegangen, ehe sie und Tobias zurückgekommen waren. Tobias hatte Joans Angebot, ihre Kutsche zu benutzen, abgelehnt und gesagt, er wolle zu Fuß nach Hause gehen, nachdem er mit Lavinia besprochen hätte, was sie als nächsten Schritt in dem Fall unternehmen sollten.
Nun wünschte sie, sie hätte widersprochen, als er das bequeme Gefährt abgelehnt hatte. Obwohl er sie gut verbarg, spürte sie die Müdigkeit in ihm. Man hatte sie ihm angemerkt, als er sich in dem großen Sessel niederließ und sein linkes Bein massierte. Sie sah sie in den Linien der Anspannung um Mund und Augenwinkeln.
Sie wusste sehr wohl, dass er seit ihrer Rückkehr von Beaumont Castle nicht viel geschlafen hatte. Dieser Fall forderte einen hohen Preis. Sie wollte gar nicht daran denken, dass er nun nach Hause laufen musste. Andererseits kannte sie ihn gut genug, um zu wissen, dass ihm ihre Fürsorge unangenehm war.
»Glaubst du, dass es klug war, Anthony und Dominic allein die Beobachtung von Pierce zu überlassen?«, fragte sie. »Was ist, wenn sie sich wieder gegenseitig umbringen wollen?«
»Ich glaube nicht, dass es dazu kommt, solange sie beide Pierce belauern.« Tobias nahm einen Schluck Brandy. »Mit etwas Glück werden sie aus Langeweile die lange nächtliche Wartezeit nutzen, um ihre Differenzen zu bereinigen.«
»Ach, jetzt verstehe ich den vollen Umfang deines raffinierten Planes.« Sie lehnte den Kopf zurück und lächelte. »Man
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