Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
nicht alles.« In Lord Vales Augen blitzte spöttische Belustigung. »Vergessen wir nicht, dass dieser unvergessliche Ausflug seinen Höhepunkt darin fand, dass man Sie und Mrs Lake noch vor dem Frühstück schlicht vor die Tür setzte.«
Tobias streckte das linke Bein aus, das von der langen Fahrt vom Vortag noch schmerzte, und versank tiefer in seinem Sessel. Es war ein Uhr mittags, der Kaffeesalon des Klubs war nur spärlich besetzt. Er, Crackenburne und Vale hatten den Raum praktisch für sich. Eigentlich nicht weiter erstaunlich, überlegte er. Es war ein schöner Tag und die meisten jener Klubmitglieder, die über den Sommer in London geblieben waren, huldigten unter den wärmenden Strahlen der Sonne dementsprechend einem anregenden Zeitvertreib im Freien. Diese Gentlemen würden sich erst gegen Abend wieder in den jeweiligen Klubs zu einer Partie Whist, zu einem Glas Wein und angenehmem Geplauder einfinden.
Um die Zeit des Jahres wurde man von geselligen Anlässen in viel geringerem Maße in Anspruch genommen, da die Saison mit ihrer rigorosen Abfolge von Bällen, Soireen und Partys endgültig zu Ende war. Viele der eleganten Gastgeberinnen hatten sich bereits auf ihre Landsitze zurückgezogen, um dort den Sommer über zu bleiben.
Aber nicht alle flohen im Sommer aus London. Aus einer Vielzahl von Gründen, zu denen lange, strapaziöse Fahrten, das Fehlen eines passenden Wohnsitzes oder die Angst vor der Eintönigkeit des Landlebens gehörten, zogen etliche Herrschaften es vor, in der Stadt zu bleiben.
Einige, darunter Crackenburne, verließen nicht einmal ihre Klubs.
Nach dem Tod seiner Frau Vorjahren hatte der Earl praktisch hier im Kaffeesalon seine Zelte aufgeschlagen. Crackenburne war eine so vertraute Erscheinung, dass die anderen Klubmitglieder dazu neigten, ihn zu übersehen wie ein bequemes altes Sofa oder einen abgetretenen Teppich. In seiner Gegenwart wurde so freimütig geklatscht, als wäre er taub. Als Folge davon sog Crackenburne Gerüchte und Neuigkeiten auf wie ein Schwamm das Wasser und kannte einige der am besten gehüteten Geheimnisse der Gesellschaft.
»Für den Hinauswurf zeichne nicht ich allein verantwortlich«, erklärte Tobias . »Es war eigentlich Mrs Lake, die die Hauptrolle in diesem kleinen Melodrama spielte. Hätte sie sich nicht bemüßigt gefühlt, Beaumont gegenüber zu behaupten, unter seinem - besser gesagt, auf seinem — Dach sei ein Mord begangen worden, hätte man uns nicht ersucht, so unzeremoniös zu verschwinden.«
Crackenburne amüsierte sich köstlich. »Man kann es Beaumont nicht verdenken, wenn er sich weigerte, zur Kenntnis zu nehmen, wie Fullerton zu Tode gekommen war. Diese Art Klatsch hätte zweifellos empfindsamere Gemüter abgehalten, in Zukunft Einladungen zu den Partys seiner Frau anzunehmen. Lady Beaumont wäre außer sich geraten, hätte ihr Ruf als Gastgeberin durch Mordgerüchte gelitten.«
»Stimmt.« Tobias versank noch tiefer in seinem Sessel. »Und es ist ja nicht so, dass wir mit einem Beweis dienen könnten.«
»Aber Sie haben doch sicher einen im Auge?«, fragte Vale.
Tobias überraschte das kühle Interesse im Blick des anderen nicht. Vale lauschte dem Bericht über die Ereignisse auf Beaumont Castle mit jenem hohen Grad an Aufmerksamkeit, den er sonst nur für seine Antikensammlung erübrigte.
An die fünfzig, hoch gewachsen und von schlanker, eleganter
Figur, besaß Vale die feinen Finger eines Künstlers. Sein zurückweichender Haaransatz betonte ein markantes Profil und eine hohe Stirn, wie sie zu einer der römischen Büsten seiner Sammlung gepasst hätte.
Tobias war noch nicht klar, was er von Vales neuerlich erwachtem Interesse an Detektivarbeit halten sollte. Seine Lordschaft war ein Gelehrter, der als Experte für römische Artefakte galt und viel Zeit mit Ausgrabungen an verschiedenen alten Fundstätten in England zubrachte. Daneben aber war er auch ein Rätsel. Die Tatsache, dass er nicht abgeneigt schien, die Firma Lake & March zu beraten, war Tobias nicht ganz geheuer.
Andererseits war unbestritten, dass Vales Rang und Vermögen im Verein mit seiner äußerst engen und vermutlich intimen Beziehung zu Lavinias neuer Freundin Mrs Dove sich bei der Aufklärung des letzten Falles als sehr nützlich erwiesen hatte. Es war gut möglich, dass er bei den jetzigen Untersuchungen ebenso hilfreich sein konnte.
Und Tobias wusste, dass er alle Hilfe brauchen würde, die er bekommen konnte.
Die Finger gegeneinander stützend,
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