Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
Erbin. Dazu kommt, dass er nach dem Tod seines Vaters einen hochrangigeren Titel zu erwarten hat. Ich kann also kein zwingendes Motiv bei ihm entdecken.«
»Da gebe ich Ihnen Recht.« Lavinia ließ diese Theorie nur ungern fallen, musste aber erkennen, dass sie nicht viel Aussichten bot. »Fällt Ihnen nicht etwas ein, das eine große Änderung durch Fullertons Tod erfährt?«
Joan tippte mit der Fingerspitze an die Tasse. »Aus Lord Fullertons Heiratsplänen wird nun nichts, was heißt, dass die kleine Panfield in der nächsten Saison wieder auf dem Heiratsmarkt auftaucht. Wie enttäuscht ihre Eltern im Moment sein müssen, lässt sich denken. Es ist allgemein bekannt, dass Panfield auf einen Titel für seine Tochter aus war.«
Lavinia ließ sich diesen Aspekt durch den Kopf gehen. »Was ist mit dem Mädchen selbst? War sie sehr angetan von der Aussicht, Fullerton zu heiraten?«
»Ich habe keine Ahnung, wie sie die Sache sah. Sie ist noch sehr jung und hatte natürlich in dieser Angelegenheit wenig zu sagen. Aber ich kann mir nicht denken, dass ein fetter bejahrter Baron der romantische Held ihrer Träume war.«
»Hmm.«
Joan machte ein amüsiertes Gesicht. »Ich glaube, die Vorstellung, dass das Mädchen imstande war, so drastische Maßnahmen zu ergreifen, um einen unerwünschten Verlobten loszuwerden, können Sie getrost vergessen. Ich bezweifle sehr, dass eine unschuldige junge und eben der Schule entwachsene Dame die Dienste eines professionellen Mörders in Anspruch nimmt. Ganz zu schweigen davon, dass sie die Möglichkeit fand, ihn zu bezahlen.«
»Das sehe ich ein«, sagte Lavinia. »Und was ist mit dem wahren romantischen Helden ihrer Träume?«
»Wie bitte?«
»Gibt es einen jungen Gentleman, der leidenschaftlich in Miss Panfield verliebt ist und vielleicht einen Plan ausheckte, Fullerton aus dem Weg zu schaffen?«
Joan überlegte. »Nicht dass ich wüsste, doch muss ich zugeben, dass ich der jungen Dame nicht viel Aufmerksamkeit schenkte.«
In der Pause, die nun eintrat, tranken sie ihren Tee.
»Ich möchte wirklich wissen, was für ein Mensch man sein muss, um die Dienste eines gedungenen Mörders in Anspruch zu nehmen«, sagte Lavinia schließlich.
»Vermutlich braucht man dazu ein Übermaß an Habgier oder Ehrgeiz.«
»Oder aber man wird von zersetzender Wut getrieben«, sagte Lavinia langsam. »Fällt Ihnen jemand ein, der Grund hätte, Fullerton so abgrundtief zu hassen?«
»Nicht aus dem Stegreif, obwohl sich ein Mann seines Alters im Laufe der Jahre viele Menschen zu Feinden gemacht haben könnte.« Joans Neugierde war endgültig erwacht. »Soll ich in dieser Richtung Nachforschungen anstellen?«
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie es täten. Wir dürfen keine Zeit verlieren und müssen jeden nur möglichen Weg gehen. Die ganze Affäre ist so undurchsichtig. Man weiß nicht einmal, ob Fullerton das erste Opfer des Mörders ist.«
Joan hielt mit der Tasse auf halbem Weg zum Mund inne und kniff leicht die Augen zusammen. »Gibt es Grund zu der Annahme, dass es schon andere gegeben haben könnte?«
»Möglich wäre es. Wir wissen es nicht.« Unruhig und enttäuscht stand Lavinia auf und trat vor eine der Vasen mit großen goldfarbigen Chrysanthemen. »Fallen Ihnen unerwartete oder unerklärliche Todesfälle ein, die sich in letzter Zeit ereigneten?«
Joan schürzte die Lippen. »Apsley starb im Mai an Herzschlag, doch war dies in Anbetracht seiner schlechten Verfassung keine große Überraschung. Lady Thornby erlag kürzlich einem Fieber, war aber fast ein ganzes Jahr bettlägerig.«
Sie schwieg und überlegte, während Lavinia dem Ticken der großen Uhr lauschte.
»Ich muss zugeben, dass mich die Nachricht von Lady Rowlands Tod letzten Monat ein wenig stutzig machte«, sagte Joan schließlich. »Sie soll zu viel von ihrem Schlafmittel erwischt haben und daran gestorben sein. Aus ihrer engsten Umgebung aber verlautete, dass sie das Zeug selbst zusammenbraute und es seit Jahren ohne Zwischenfälle einnahm.«
Lavinia vollführte eine jähe Drehung. »Selbstmord?«
»Das bezweifle ich stark.«
»Wie können Sie so sicher sein?«
»Die Frau war eine Tyrannin«, sagte Joan. »Sie war es, die in der Familie den Geldbeutel in der Hand hatte und nicht zögerte, diesen einzusetzen, wenn es galt, den anderen ihren Willen aufzuzwingen. Zum Zeitpunkt ihres Todes hatte sie einen hervorragenden Grund, am Leben zu bleiben.«
In Lavinia regte sich neugierige Hoffnung. »Warum sagen Sie
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