Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
Pause und sprach dann ruhig weiter, »ich habe in den letzten zwanzig Jahren mehr als fünftausend Tote gesehen. Ich glaube nicht, dass die beiden Frauen dazugehören. Wie gesagt: Ich glaube es. Es ist eine reine Vermutung, und es mag sein, dass ich mich irre, aber ...
Der Doktor beendet den Satz nicht, sondern sprach fröhlich weiter:
»Jetzt aber genug der Spekulationen über Leben und Tod. Hier liegen genug Klienten, bei denen zumindest diese Frage unstrittig ist.«
Bettina Berg und Alexander Thal verließen das Büro der Kriminaltechnik.
»Warum müssen die Gerichtsmediziner immer so aufschneiden«, regte sich Bettina Berg auf. »Fünftausend Leichen, das kann doch gar nicht stimmen.«
»Warum nicht«, antwortet Thal. »Restle hat über zwanzig Jahre Berufserfahrung, das wären zweihundertfünfzig Leichen pro Jahr, also nur fünf pro Woche.«
»Um Gottes willen.« Bettina war sichtlich betroffen. »Dann ist es kein Wunder, dass man verschroben wird.«
***
Thal schlug die Tür seines Büros wütend hinter sich zu und warf die Papierabzüge der zwölf Fotos auf den Schreibtisch. Was bildete sich dieser Schober ein? Nachdem sie Grendels Büro verlassen hatten, ging er mit Bettina direkt zum Präsidenten, um ihn über die Sachlage zu unterrichten.
»Bringen Sie mir einen Fall, und Sie können ermitteln«, antwortete Schober in seinem langweiligen Sprechgesang, bevor er sie barsch aus seinem Büro warf. Sie hätten genug Arbeit mit der Einbruchsserie, und er müsse seine Antrittsrede vor der Polizeichefvereinigung Bodensee vorbereiten. Zwei Mal im Jahr trafen sich die Leiter der neun Polizeidienststellen rund um den Bodensee, Schobers Vorgänger war jahrelang Vorsitzender der Vereinigung, und er hoffte, ihm bald nachfolgen zu können.
Die Grenzen stellten die Arbeit der Polizei in der Region vor spezielle Probleme, die oft »auf dem kleinen Dienstweg« gelöst werden mussten. Da konnte es von Vorteil sein, wenn sich die Polizeichefs über die Grenzen hinaus kannten und vertrauten. Trotzdem war Thal stinksauer, dass Schober eine Rede vor Kollegen wichtiger war als ein Fall, in den einer seiner leitenden Mitarbeiter direkt und persönlich verwickelt war.
Um sich zu beruhigen, brauchte er dringend einen Espresso. Als er den Schalter seiner sündhaft teuren Maschine betätigte, blieb die kleine Kontrollleuchte, welche die Betriebsbereitschaft signalisierte, dunkel. Er beugte sich über den glänzenden Apparat. Das Kabel baumelte am Schrank herunter, jemand hatte in seiner langen Abwesenheit den Stecker gezogen. Er steckte ihn in die Dose und befüllte den leeren Wassertank aus einer Mineralwasserflasche, von der er einen Vorrat in seinem Aktenschrank hatte. Das Konstanzer Wasser war völlig ungeeignet für einen guten »caffè«.
Während die Maschine das Wasser auf die richtige Temperatur brachte, öffnete Thal das Fenster, um die abgestandene Luft zu vertreiben. Wenigstens hatte man das Zimmer geputzt, es fand sich weder auf seinem Glasschreibtisch noch auf den anderen Möbeln - alle aus mattem, gebürstetem Edelstahl – auch nur ein Staubkorn. Er ging zurück zu seiner Kaffeebar und schüttete eine Handvoll Bohnen in die Präzisionsmühle. Sofort verbreitete sich der wundervolle Geruch frisch gemahlenen Arrabicas im Raum. Das Wasser hatte die passende Temperatur. Thal befüllte den Siebträger mit der exakt abgemessenen Menge Kaffeepulver. Eine Minute später hielt er eine Tasse besten Kaffees in der Hand, wie man sie in keinem Restaurant der Stadt bekommen konnte. Erst jetzt, den halben Löffel Zucker umrührend, der das Aroma unterstrich, traute er sich, seinen Blick auf die Wand hinter dem Schreibtisch zu richten. Leah lächelte ihn an.
Sie hatte sein Büro eingerichtet, nicht einmal das Geschirr, von dem er jetzt eine Tasse in der Hand hielt, stammte aus den Beständen des Präsidiums.
»Der Beamtenmief hindert dich am Denken!«
Sie richtete das Büro wie die Wohnung mit Designermöbeln ein, die von Freunden oder Bekannten entworfen worden waren. Das Bild an der Wand war ein Selbstporträt. Leah trug einen leuchtend gelben Pareo, saß mit untergeschlagenen Beinen auf einer Bambusmatte und lächelte den Betrachter an. Ihr Haar war hochgesteckt, als einzigen Schmuck trug sie eine hellgelbe Frangipaniblüte hinter dem Ohr.
Vor gut zwei Jahren war Leah überraschend im Büro aufgetaucht, das zwei Meter mal ein Meter große Bild unter dem Arm.
»Wie von Gauguin gemalt«, sagte Thal,
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