Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
Thal wandte sich der Zeugin zu.
»So ganz verstehe ich es nicht. Wenn Sie vom Münster nach Hause wollten, wäre es ein kurzer Weg durch die Niederburg über den Rhein gewesen. Die Praxis lag fast genauso weit entfernt, aber in der entgegengesetzten Richtung.«
Claudia Pech presste die Lippen zusammen und schaute auf ihre Knie. Als sie den Kopf wieder hob, flüsterte sie fast:
»Ich wollte gar nicht nach Hause gehen.«
Bettina Berg beugte sich vor und signalisierte Thal mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung der Hand, dass sie das Gespräch übernehmen wollte.
»Sie hatten noch eine Verabredung, nicht wahr?«
Claudia Pech blickte Bettina Berg an und nickte.
»In der Praxis?«
Erneutes, stummes Nicken.
»Mit wem?«
»Das möchte ich nicht sagen.«
Bettina stand auf und setzte sich neben die mit gesenktem Kopf und zusammengesunken wie ein Häufchen Elend auf der Couch sitzende junge Frau.
»Frau Pech, wir werden es ohnehin herausbekommen.«
»Versprechen Sie mir, dass meine Mutter es nicht erfährt?«
Bettina Berg legt ihre Hand auf Claudia Pechs Arm.
»Das kann ich Ihnen nicht hundertprozentig zusichern. Aber wenn es sich vermeiden lässt ...«
Die Zeugin richtete sich auf und begann mit fester, wenn auch leiser Stimme zu erzählen.
»Ich hatte mich um neun Uhr mit Arnold - also mit meinem Chef, Dr. Scheffel, verabredet. Weil mir übel war, ging ich früher zur Praxis. Auf dem Weg wurde es immer ärger mit meinem Schwindel, alles drehte sich um mich herum. Irgendwann bin ich ohnmächtig geworden. Ich weiß nicht, ob es noch auf der Straße passierte oder im Treppenhaus. Vielleicht war ich auch schon in der Praxis. Als ich erwachte, lag ich auf jeden Fall in diesem Behandlungsstuhl, und mein Hemdglonkergewand war zerschnitten.«
Claudia Pech machte eine Pause. Bettina Berg drückte ihre Hand.
»Und mein BH und der Slip auch. Ich lag nackt auf diesem Stuhl, nur der Stoff des Nachthemds war über mir zusammengeschlagen.«
Claudia Pech schluchzte. Tränen liefen über ihre Wangen. Bettina Berg reichte ihr ein Taschentuch. Es dauerte eine Minute, bis die junge Frau sich fasste.
»Ich weiß nicht, was passiert ist. Mir war noch speiübel, und ich zog mich an. Zum Glück hatte ich mich am Morgen in der Praxis für die Fastnacht umgezogen, und meine Kleidung war noch dort. Dann ging ich nach Hause und legte mich sofort ins Bett. Erst heute Morgen sah ich den kleinen Schnitt am Hals im Spiegel. Ich dachte, es wäre besser, Sie anzurufen.«
Bettina Berg tätschelte erneut ihre Hand.
»Das war richtig. Haben Sie inzwischen mit Ihrem Chef gesprochen?«
Claudia Pech schüttelte den Kopf.
»Meine Mutter hat mich heute nicht eine Sekunde alleine gelassen. Außerdem ist die Praxis geschlossen, und zu Hause rufe ich ihn nie an. Er ist verheiratet, wissen Sie.«
Erneut schossen Tränen aus ihren Augen.
Thal griff in seine Manteltasche, überlegte es sich aber anders. Die Frau war im Moment viel zu durcheinander, um die Fotos anzusehen. Dazu war später noch Zeit. Stattdessen stand er auf und sagte:
»Leider können wir es Ihnen nicht ersparen, dass wir die Kleidung, die Sie gestern trugen, und auch Ihren Körper nach Spuren absuchen müssen, die der Täter dort eventuell hinterlassen hat.«
Claudia Pech riss ihre Augen auf. Bettina Berg sprach beruhigend auf sie ein.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Die Prozedur geht schnell, und die Untersuchung wird eine Ärztin vornehmen. In zwei Stunden sind Sie wieder zu Hause.«
Thal zog sein Handy aus der Tasche und rief Grendel im Präsidium an.
»Wir haben einen Tatort für die dritte Fotoserie. Praxis Dr. Scheffel auf der Marktstätte. Ruft aber vorher den Doktor an, er weiß noch nichts davon.«
»Muss das sein?«, rief Claudia Pech entsetzt.
Alex Thal und Bettina Berg nickten synchron und verließen dann das Wohnzimmer. In der Küche erklärten sie der vor einer Tasse Kaffee sitzenden Mutter, dass ihre Tochter sie für weitere Untersuchungen ins Präsidium begleiten müsse. Annemarie Pech sprang augenblicklich auf.
»Mama«, flüsterte ihre Tochter.
»Es ist besser, Ihre Tochter kommt alleine mit«, sagte Bettina Berg. Annemarie Pech wagte keinen Widerspruch, sondern setzte sich schweigend auf ihren Stuhl.
Eine halbe Stunde später hatte Bettina Berg das Opfer in der Kriminaltechnik abgeliefert und betrat Thals Büro. Er saß am Computer und klickte sich durch das Polizeiarchiv.
»Setz dich Bettina. Grendel hat mich gerade angerufen. Sie haben in der
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