Leander und die Stille der Koje (German Edition)
ihnen standen, ganz besonders auf. Ob das alles Hautkrebsanwärter mit Dauerkarten für Solarien waren? Nein, das Gesicht dort drüben kam ihm bekannt vor, das musste jemand von der Insel sein. Eine Pendlerin vielleicht, die täglich zur Arbeit aufs Festland fuhr. Woher kannte er das Gesicht denn nur?
Plötzlich schoss ein Blitz der Erleuchtung so heftig durch Paul Woykes Gehirn, dass er aufschrak und einen Teil seines Kaffees verschüttete. Eine ältere Dame, die unbemerkt neben ihn getreten war, schaute ihn erstaunt an. Paul Woyke zuckte die Schultern, drückte ihr seine beiden Kaffeebecher in die Hände, murmelte »Entschuldigung!« und eilte das Oberdeck entlang zu seiner Jacke, die noch neben Helge Dulz auf der Banklehne lag. Er angelte sein Handy heraus und ging wieder zu der alten Dame an der Reling zurück. Die stand immer noch mit seinen Kaffeebechern da und nahm ihr Schicksal ergeben hin.
»Dieter?«, meldete sich Woyke, nachdem er Bennings’ Nummer gewählt hatte. »Paul hier. Ich bin noch auf der Fähre. Ihr sucht doch nach Ariana Jeronski. Die kommt gerade mit der Nordfriesland zurück auf die Insel. … Ja, ganz sicher. Ich habe sie eindeutig erkannt. … Keine Ursache, ist doch selbstverständlich.« Er drückte die rote Hörertaste, sinnierte einen Moment über seine Beobachtungsqualitäten und steckte das Handy in die Hosentasche.
Dann wandte er sich wieder der Dame zu, die geduldig neben ihm ausgeharrt hatte und ihn fragend ansah, nahm ihr den Becher aus der Hand, der leerer aussah, und prostete ihr zu. »Der andere ist für Sie«, verkündete er großzügig. »Ich habe nichts daraus getrunken, nur die Hälfte verschüttet.«
Die alte Dame lachte und nahm sein Angebot an. So kam Paul Woyke nun doch noch für den Rest der Überfahrt zu einem anregenden Gespräch.
Maarten Rickmers parkte mit seinem Geländewagen direkt am Fähranleger. Breitbeinig lehnte er am Kühlergrill, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete durch eine verspiegelte Sonnenbrille das Anlegemanöver. Ariana Jeronski stand fast ganz vorne an der Bordwand, die sich nun langsam hob, und winkte ihrem Freund zu, der jedoch keinerlei Reaktion zeigte. Als die Fußgänger von der Fähre gehen durften, lief sie auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Maarten Rickmers gab ihr beiläufig einen Kuss, warf ihre Tasche auf den Rücksitz und stieg ohne weitere Umstände ein. Ariana stutzte kurz angesichts der kühlen Begrüßung, zuckte dann mit den Schultern und setzte sich auf den Beifahrersitz. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, fuhr Maarten Rickmers mit quietschenden Reifen an und raste hupend an den anderen Urlaubern vorbei, die auf dem Weg zur Innenstadt waren und sich mit einem Sprung auf den Bürgersteig retteten.
»So ein rücksichtsloser Mistkerl«, kommentierte Dieter Bennings. »Ich würde einiges darum geben, wenn wir ihm doch noch etwas am Zeug flicken könnten.«
»Jedenfalls hat er schnell reagiert«, sagte Lena. »Dafür, dass er angeblich nicht wusste, wo sich seine Freundin aufhielt, hat er sie ausgesprochen zeitnah zurückgerufen. Ich kann mir nicht helfen, aber es stinkt mir ganz gewaltig, wie der Typ uns verarscht.«
Lena und Dieter Bennings hatten das Geschehen aus einiger Entfernung und im Schutz des Bushäuschens vor dem Reedereigebäude beobachtet. Sie hatten sich nach Paul Woykes Anruf selbst von Ariana Jeronskis Rückkehr überzeugen wollen und waren pünktlich zum Anleger aufgebrochen. Allerdings hatten sie beschlossen, das Mädchen nicht sofort abzufangen, sondern Maarten Rickmers erst einmal in Sicherheit zu wiegen. Dass er seine Freundin zurückbeordert hatte, zeigte, dass er keine Gefahr witterte. Und in dem Glauben wollten sie ihn zunächst lassen, bis sie belastbare Indizien fänden, um ihn gezielt in die Zange zu nehmen. Dann konnten sie zugreifen und Ariana befragen.
Am Abend saßen Leander und Lena im Garten, aßen Baguette und Käse und tranken einen dunklen Rotwein dazu. Lena erzählte ihrem Freund von der Entscheidung, den Fall nicht voreilig abzuschließen und zumindest erst einmal die Ergebnisse der KTU abzuwarten.
»Und dann ist da noch Maarten Rickmers«, schloss sie ihren Bericht und erzählte von ihrem neuen Ermittlungsansatz und den Schwierigkeiten, auf die sie dabei stießen.
»Tom ist übrigens auch der Ansicht, dass ihr vielleicht noch einmal in diese Richtung ermitteln solltet«, lenkte Leander das Gespräch nun vorsichtig auf sein Geständnis, das er sich für diesen
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