Leander und die Stille der Koje (German Edition)
vergleichen. Wir können nämlich inzwischen aus dem Fett der Fingerabdrücke Rückstände von Drogen, Medikamenten und so weiter extrahieren. Die Flecken überall dazwischen haben wir mit dem Gelbfilter sichtbar gemacht: Scheidensekret. Von wie vielen Frauen die sind, werden wir noch herausfinden. Die schwarzen Flecken auf dem Boden neben dem Bett sind Blut. Das ist eine Menge Arbeit, kann ich euch sagen. Wenn wir Pech haben und noch mehr finden, sind wir die nächsten zwei Wochen rund um die Uhr beschäftigt. Aber zuerst einmal müssen alle Spuren in der Hütte gesichert werden. Das Laken geht ohnehin komplett ins Labor. Das Beste wisst ihr aber noch gar nicht: Wir haben Hautspuren unter den Fingernägeln des Toten gefunden. Er muss den Täter gekratzt haben. Näheres erfahren wir aus der KTU. Ich hab meine Jungs in der Vogelkoje alleine weitermachen lassen und bin zu diesem Doktor Hecht nach Boldixum gefahren. Der Tote liegt in seinem Behandlungszimmer und blockiert ihm die ganze Praxis. Gleich nachher lasse ich ihn abholen, damit der Doc weiterarbeiten kann.«
»Kannst du schon etwas zur Todesursache sagen?«, hakte Bennings nach.
»Erschlagen, mit einem stumpfen, runden Gegenstand, vermutlich aus Holz. Ich habe sofort per Handy in der Koje Bescheid gesagt, die Jungs drehen jeden Ast danach um. Die Leiche weist zwei Wunden auf, eine kleinere an der Stirn, eine große mit deutlichen Frakturen seitlich auf dem Schädel. Ich lehne mich, glaube ich, nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass der Schlag auf den Schädel zum Tode geführt hat und vermutlich als zweiter Schlag ausgeführt worden ist. Genaueres kann ich aber erst nach der Obduktion sagen, auch ob das frische Sperma im Laken von ihm stammt. Jetzt brauche ich erst mal etwas Pause, dann fahre ich gleich wieder raus.«
»Gut.« Bennings knetete seine Unterlippe. »Dann lass uns mal ein paar Hypothesen aufstellen. Hypothese eins: Rickmers trifft sich mit seiner Geliebten in der Vogelkoje, es kommt zum Streit, in dessen Folge er unglücklich stürzt oder sie ihn erschlägt. Vielleicht wollte er sich nicht von seiner Frau trennen, oder so – klassisches Schema halt. Hypothese zwei: Die Geliebte ist die Ehefrau eines anderen, der die beiden in flagranti erwischt und Rickmers erschlägt. Hypothese drei: Rickmers und ein weiterer Mann streiten sich um die Frau, der andere gewinnt.«
»Hypothese vier«, ergänzte Dernau, »Rickmers ertappt seine eigene Frau mit einem anderen Kerl, es kommt zu besagtem Streit, der andere oder seine eigene Frau erschlägt Rickmers.«
»Hypothese fünf: Das Motiv liegt im Umfeld des Streits mit diesem Ökoverein«, fuhr Bennings fort, »oder – Hypothese sechs: Es hat etwas mit der Fleischereikette zu tun, also mit dem beruflichen Umfeld Rickmers’.«
»Hypothese sieben: All das ist Quatsch, und es war ganz anders«, unkte Paul Woyke, erhob sich wieder von seinem Stuhl und zwinkerte Dernau zu. »Auf jeden Fall wünsche ich euch fruchtbare Ermittlungen.« Er verließ grinsend den Raum.
»Sollte aber doch etwas an unseren Beziehungs-Hypothesen sein, liegt der Schlüssel bei der betreffenden Frau«, erklärte Dernau. »Lass uns zuerst zu Frau Rickmers fahren. Vielleicht erübrigt sich danach schon alles andere.«
»So machen wir’s«, stimmte Bennings zu.
Er öffnete die Tür zur Wachstube und ging hinaus. Hinrichs hockte hinter seinem Schreibtisch und hatte sichtlich mit seiner Müdigkeit zu kämpfen, denn immerhin hatte er seit gestern Abend durchgehend Dienst geschoben.
»So, Kollege Hinrichs, jetzt geben Sie mir mal die Adresse des Mordopfers«, ordnete Bennings an, »und dann fahren Sie nach Hause und hauen sich auf’s Ohr. Vor morgen früh will ich Sie hier nicht mehr sehen.«
»Die Dienste auf dieser Wache teile immer noch ich ein«, begehrte Hinrichs auf. »Und mein nächster Dienst beginnt heute Abend um achtzehn Uhr. Ich habe in dieser Woche Nachtschicht. Hier ist die Adresse von Nahmen Rickmers. Da Sie mich ja offenbar dazu nicht brauchen, fahre ich jetzt nach Hause und ruhe mich aus, wenn Sie nichts dagegen haben. Falls Sie noch weitere Fragen haben, stehen Ihnen die Kollegen Vedder und Groth sicher gerne zur Verfügung.«
Er schob den Zettel über den Schreibtisch und ließ ihn am anderen Ende liegen, anstatt ihn Bennings in dessen ausgestreckte Hand zu geben.
»Und das ist die Information über den Verein, die Sie brauchen«, sagte er und warf einen zweiten Zettel hinterher. Dann erhob er sich,
Weitere Kostenlose Bücher