Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Absicht? Ich glaube, der Typ ist einfach nur doof.«
»Nein, mein Lieber, da machst du es dir zu leicht. Der hat zwar sicher nicht die Elektrizität erfunden und auch nicht in der ersten Reihe gestanden und ›Hier!‹ gerufen, als seinerzeit das Gehirn verteilt wurde, aber die Jungs auf den Inseln ersetzen mangelnde Erfahrung durch praktische Intelligenz. Bauernschläue, sozusagen. Wenn so einer gegen alle Dienstvorschriften verstößt, dann nicht, weil er es nicht besser weiß oder weil ihm gerade danach ist. Normalerweise ist dieser Typ Dienststellenleiter ein Rückversicherer. Wenn der so eine Entscheidung fällt, dann hat er dafür triftige Gründe.«
»Und die wären?«, fragte Dernau, der genau wusste, wann er zuzuhören hatte.
»Er vertuscht etwas. Und wenn mich nicht alles täuscht, dann hat das mit dem Toten selbst zu tun, vielleicht mit seiner sozialen Stellung hier auf der Insel. Aber das kriege ich raus.« Er stand auf, öffnete die Tür und rief jovial: »Herr Kollege Hinrichs, kommen Sie bitte mal, wir brauchen Ihre Hilfe.«
»Klar«, murmelte Hinrichs, allerdings so leise, dass Bennings es nicht mitbekam. »Ohne uns seid ihr hier auf der Insel nicht mal in der Lage, euren eigenen Arsch zu finden.«
Er schlenderte betont lässig in das Verhörzimmer, griff sich unaufgefordert einen Stuhl und setzte sich an den Tisch. »Womit kann ich dienen?«, fragte er in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass er mit den Kollegen vom Festland am liebsten gar nicht mehr geredet hätte.
Bennings gab Dernau ein Zeichen, woraufhin der sich von der Tischkante erhob und sich ebenfalls etwas abseits auf einen Stuhl setzte.
»Kollege Hinrichs«, begann Bennings freundlich. »Uns ist natürlich klar, dass wir hier auf der Insel ohne Sie keine Chance haben. Sie kennen sich hier aus, wir nicht. Mit Ihnen reden die Leute, uns verraten sie kein Sterbenswort. Deshalb brauchen wir von Ihnen alle Informationen, die Sie uns über den Toten und sein soziales Umfeld geben können.«
Hinrichs genoss die Situation und schwieg. So leicht wollte er es den arroganten Schnöseln nicht machen.
»Also, Kollege, wer ist der Tote?«
»Nahmen Rickmers«, antwortete Hinrichs und überlegte einen Moment, ob er es zunächst dabei belassen sollte, beschloss dann aber, den Bogen nicht zu überspannen. »Er ist … war Leiter des Hegerings Föhr.«
»Hegering, soso«, kommentierte Dernau.
»Was, bitte, ist ein Hegering?«, erkundigte sich Bennings geduldig.
»Das ist eine Abteilung der Kreisjägerschaft Südtondern.«
»Abteilungsleiter also. Das hört sich so an, als sei er schon eine relativ große Nummer auf der Insel gewesen«, hakte Bennings nach. »Er war ja dann quasi der Chefjäger hier, oder?«
»Das kann man wohl so nennen. Im letzten Jahr hat er sich sogar auf einen Posten im Vorstand der Kreisjägerschaft auf dem Festland beworben. Und das hätte er auch geschafft, wenn da nicht dieses Theater wäre.«
»Welches Theater?«
»Na ja, hier auf der Insel gibt es seit ein paar Jahren Streit zwischen den Bauern und so ein paar Öko-Spinnern. Das ist ein Verein, der mit Spendengeldern Land aufkauft und es unter Wasser setzt, damit die Möwen genug Nistplätze haben. Klar, dass das den Bauern stinkt. Da müssen wir ansetzen, oder bei diesem Baginski, wenn Sie mich fragen.«
»Und was hatte Rickmers mit dem Streit zwischen den Umweltschützern und den Bauern zu tun? War er hauptberuflich Landwirt?«
»Nee, aber die Jäger dürfen in der Nähe der Flächen, die von diesem Verein gekauft werden, nicht mehr jagen, weil die Möwen und das ganze andere Viehzeugs von den Schüssen vertrieben wird. Je mehr Land dieser Verein aufkauft, desto weniger Weide- und Jagdflächen gibt es. Ist doch logisch, dass das Ärger gibt.«
»Gut, Herr Hinrichs, schreiben Sie mir den Namen des Vereins und seines Vorsitzenden auf. Noch eine Frage zu Rickmers: War er nur als Jäger eine große Nummer, oder zählte er auch sonst zur High Society hier auf der Insel?«
»Klar, Nahmen war hier nicht irgendwer. Das Geld hatte zwar eigentlich nicht er, sondern die Hilke, seine Frau, aber der drehte damit am großen Rad, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Eigentlich verstehe ich das nicht«, gab Bennings zu.
»Na ja, auf seinen Partys waren nur die reichen Leute, die auch die politische Richtung hier vorgeben. Einmal im Jahr hat er eine Entenjagd ausgerichtet, zu der auch einflussreiche Leute vom Festland kamen – Kiel, wenn Sie verstehen, was
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