Leander und die Stille der Koje (German Edition)
gediegen friesisch wirkte, bestellte Lena sich ein gegrilltes Lachsfilet auf grünen Bandnudeln mit einer Senfsauce nach Art des Hauses. Die Kombination fand sie ebenso abenteuerlich wie Leander die seiner Wahl: gebratenes Seelachsfilet mit Bratkartoffeln und Pfifferlingen in einer Specksauce. Das hörte sich eher nach einem Jägerschnitzel als nach Fisch an, aber Leander war schon einmal hier gewesen und vertraute der Küche ohne Wenn und Aber. Zum Fisch wählten sie Weißwein und verließen sich da ebenfalls ganz auf die Empfehlung der Kellnerin.
Als das Essen dann vor ihnen stand, erlebten beide auf ihre Art eine Geschmacksexplosion, und so waren sie sich schnell einig: Wenn Föhr das Paradies war, dann stand in diesem Restaurant der verbotene Apfelbaum, von dem sie gerade genussvoll naschten. Sie waren sich aber auch einig, dass dieser Vergleich nicht zuletzt der Tatsache geschuldet war, dass sie jeder bereits einen halben Liter Bier und im Moment den größten Teil ihres zweiten Glases Wein getrunken hatten, und diese Erkenntnis, so stellte Lena fest, hatten sie wiederum nur dem Naschen des Apfels zu verdanken. Derart unbeschwert verbrachten sie zwei Stunden im Restaurant, um danach Arm in Arm in der sommerlich warmen Abendluft durch die Fußgängerzone zu schlendern.
Am Ende der Mittelstraße blieben sie an den ausladenden Schaufenstern der Wyker Buchhandlung stehen und betrachteten die Krimi-Neuerscheinungen, bis Leander im Spiegelbild der Scheibe einen Werbe-Reiter entdeckte, der genau gegenüber stand. Es handelte sich um die Reklame für ein Weinlokal namens Alte Druckerei . Leander hielt dies für einen Wink des Himmels, dem man dringendst folgen sollte, solange man noch nicht aus dem Paradies verstoßen war.
»Noch mehr Wein?«, protestierte Lena.
»Du kannst natürlich auch Wasser trinken«, scherzte Leander und zog sie sanft in das schmale Gässchen, in die das Schild wies.
Nach wenigen Metern fanden sie sich in einem kleinen Innenhof wieder, in dem einige runde Tischchen standen. Die Tür des Weinlokals ging gerade auf und zwei Frauen kamen lachend heraus.
»Sie haben Glück«, sagte die eine und hielt ihnen die Tür auf. »Am ersten Tisch rechts haben wir Ihnen gerade zwei Plätze freigemacht.«
Lena und Leander hätten angesichts der milden Luft zwar lieber draußen gesessen, aber dieser Einladung konnten sie nicht widersprechen, und so dankten sie und betraten das Lokal. Vor ihnen öffnete sich ein Raum, der alles andere als eine typische Gaststube war. Links erstreckte sich eine Theke und geradeaus öffnete sich der Raum für mehrere Tische, aber rundherum waren Weinregale an den Wänden, mit Preisschildern versehen. Dies war offensichtlich nicht nur eine Weinstube, sondern auch ein Weingeschäft. Eine pfiffige Kombination, so dass der Inhaber nicht nur tagsüber verdienen konnte.
Eine Kellnerin kam auf sie zu und deutete auf den Tisch, den die beiden Frauen gemeint haben mussten. »Hier vorne sind noch zwei Plätze frei. Wenn Sie bitte Platz nehmen möchten. Es geht gleich los.«
Was gleich losging, sagte sie nicht, sondern reichte ihnen zwei Weinkarten, mit denen Lena und Leander an den zugewiesenen Tisch gingen. Und dort erlebten sie gleich die nächste Überraschung, denn neben mehreren Leuten, die sie nicht kannten, saß Hauptkommissar Bennings und machte einen nicht gerade glücklichen Eindruck, als er sie erblickte.
»Herr Kollege«, begrüßte Lena ihn und überspielte mit einem freundlichen Lächeln ihre zwiespältigen Gefühle. »So schnell sieht man sich wieder. Meinen Freund kennen Sie ja sicher noch.«
Bennings nickte Leander etwas sauertöpfisch zu, reichte ihm aber dann die Hand. »Als Insulaner kennen Sie den Laden hier ja sicher schon länger«, eröffnete Bennings das Gespräch, sichtlich bemüht, das Beste aus der Situation zu machen.
»Ich bin zum ersten Mal hier«, gestand Leander. »Aber so lange lebe ich ja auch noch nicht auf der Insel.«
»Dernau und ich haben das Lokal zufällig an einem unserer ersten Abende entdeckt. Leider kann er das Programm heute nicht mehr miterleben. Er hatte sich darauf gefreut.«
Lena ignorierte den Seitenhieb. »Was für ein Programm denn?«
»Die beiden Inhaber dieses Weinlokals kommen eigentlich vom Film. Sie haben sich eines Tages hier niedergelassen und einen Weinhandel eröffnet. Drüben am Glockenturm. Dann ist diese alte Druckerei frei geworden, und sie sind umgezogen. An manchen Abenden rezitieren sie literarische Texte
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