Leandra - Die Amazonenprinzessin (German Edition)
vertraut vorkommende Stimme sagte: „Deine Tochter ist bestimmt sehr aufgeregt.“
„Natürlich, ein Pferd aus dem Avan-Gestüt ist etwas Besonderes.“
Leandra war der Atem gestockt, und sie musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. Sie wandte den Kopf ab und wartete, bis die beiden Amazonen an der Theke waren, dann verabschiedete sie sich vom Händler und verließ den Laden. Schnellen Schrittes marschierte sie in Richtung Tor und warf nur kurz einen Blick über die Schulter. Auf der Straße war niemand zu sehen. Kein Wunder bei diesen strömenden Regen.
Leandra dachte an die Worte der beiden Amazonen. Das Avan-Gestüt war nur wenige Stunden entfernt. Wenn sie ein Pferd hätte, könnte sie die Berge schnell erreichen. Nein, daran durfte sie nach nicht einmal denken! Pferdediebstahl war eines der schwersten Verbrechen. Die Prinzessin hob den Kopf und sah nach Osten. Wenn ihre Jägerin Kurane vor Glannor einholte, hatte Leandra kaum Chancen. Sie musste es tun. Als sie die Stadt verließ, donnerte es und helle Blitze zuckten über den Himmel. Wenigstens peitschte der Wind ihr nicht den Regen ins Gesicht.
Wie schnell sich das Leben verändern kann , dachte Leandra. Als Tochter der Königin der Amazonen wurde sie geboren, und nun war sie eine Verstoßene. Der Gedanke an ihre Mutter tat weh, aber von dem Zorn der letzten Nacht war nichts mehr übrig geblieben. Leandra hatte sich nicht ändern können, deshalb war Königin Neria keine andere Wahl geblieben.
Beinahe wäre Leandra an den Pfad, der zum Gestüt führte, vorbeigegangen, doch ein gewaltiger Donnerschlag riss sie aus den Gedanken. Mittlerweile war der Boden aufgeweicht, und das Wasser hatte sich in unzähligen Pfützen gesammelt. Endlich erreichte sie die erste Koppel und sah, dass die Pferde dicht gedrängt unter einem Unterstand standen. Wenn man sie später mit einem gestohlenen Tier erwischte ...
Die Amazonenprinzessin schüttelte den Gedanken ab und öffnete das Gatter. Langsam ging sie zum Unterstand und zählte fünfzehn Pferde. Ein brauner Wallach erregte ihre Aufmerksamkeit. An seinen Körperbau erkannte Leandra, dass er sehr schnell war, aber er scharrte unruhig mit den Hufen und wieherte nervös. Das Verhalten zeigte, dass seine Grundausbildung noch nicht abgeschlossen war.
„Ruhig, mein Freund“, sagte Leandra.
Gewiss übertönte das Gewitter ihre Worte, trotzdem beruhigte sich das Pferd und sah sie neugierig an. Leandra rührte sich nicht, und der Wallach drängte die anderen zur Seite, um zu ihr zu kommen.
„Gut so.“ Sie legte ihre Stirn an seinen Hals. „Wie soll ich dich nennen? Hm - Alio ist doch ein schöner Name.“
Sie schwang sich auf den Pferderücken und ritt einige Zeit lang durch die Koppel, um das Tier zu testen und ihre Spuren zu zertrampeln. Vielleicht war es leichtsinnig, dass sie ausgerechnet ein unausgebildetes Pferd gewählt hatte, aber Leandra vertraute auf ihre Gabe, und sie täuschte sich nicht. Alio verhielt sich so, als würde er sie lange kennen. Selbst das Unwetter schien ihn nichts mehr auszumachen. Fabelhaft, dann sollten wir uns auf den Weg machen , dachte Leandra und ritt an den südlichen Zaun heran. Dank der großen Bäume, die hier wuchsen, war der Boden ziemlich fest. Mit aller Kraft trat sie gegen die obere Planke, und diese brach herunter. Nun konnten die Pferde springen, und Leandra trieb die Herde hinüber. Wenig später waren die Tiere in der Nacht verschwunden. Sicher würden die Streitrösser zurückkommen, doch auf der Suche nach den anderen würde einige Zeit verstreichen.
Jetzt, wo Leandra ein gestohlenes Pferd ritt, konnte sie nicht auf der Straße weiterreisen, so ritt sie über die Ebenen nach Westen. Wegen des Bodens kamen sie nur langsam voran, dennoch erreichten sie in der Dämmerung den Rothan-Wald. Er bedeckte eine große Fläche Tehunas, und niemand fällte hier Bäume, denn über diesen Wald herrschte Isen, und Leandra war gespannt, was sie dort erwartete.
Der kreisrunde Raum hatte keine Fenster, und der eindringliche Geruch nach Kräutern lag in der Luft. Akrissa unterdrückte ein Husten, als erneut Dämpfe aufstiegen. Die wenigen Kerzen hüllten den Seher, der auf einem Steinblock saß, in gespenstisches Licht. Die Amazone hasste diesen geheimnisvollen Kult, zu dem Enos gehörte. Ihr eigenes Volk hatte schon lange keine Seherinnen hervorgebracht. Früher hatte Isens Bruder ihnen die Gabe geschenkt, doch nachdem sich die göttlichen Zwillinge zerstritten hatten, verweigerte Ivar den
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